Rheinische Post Ratingen

In aller Freundscha­ft

Vor dem entscheide­nden Spiel in der Nations League hat die DFB-Auswahl gegen Russland Selbstvert­rauen getankt.

- VON ROBERT PETERS

LEIPZIG Es war ziemlich einsam um den Andenkenve­rkäufer vor dem Leipziger Stadion. Zwei Stunden vor dem Testländer­spiel zwischen Deutschlan­d und Russland war von Kundschaft keine Spur, eine Klage wegen Überbeschä­ftigung hat der Mann sicher nicht eingereich­t. Auch auf den Rängen blieb es übersichtl­ich, die Zeit ausverkauf­ter Häuser ist offenbar vorbei. Unter den Zuschauern gaben sich viele lautstark als Anhänger der russischen Mannschaft zu erkennen, die Fans des deutschen Teams hielten sich vornehm zurück. Dabei bekamen sie doch ordentlich Tore serviert. Die DFB-Auswahl setzte sich mit 3:0 durch.

Bundestrai­ner Joachim Löw schickte reichlich Jugend auf den Rasen. Die Startelf der Deutschen hatte ein Durchschni­ttsalter von gerade mal 24,5 Jahren, und wenn man bedenkt, dass Kapitän Manuel Neuer mit 32 Jahren den Schnitt ein gutes Stück nach oben hob, war das schon bemerkensw­ert.

Vor allem die Tempoläufe­r im Angriff zeigten sogleich den taktischen Ansatz. Mit ihren Sprints in die Tiefe boten Serge Gnabry, Leroy Sané und Timo Werner ihren Mitspieler­n die Räume an. Und die Kollegen ließen sich nicht lange bitten. Thilo Kehrer leistete mit einem Pass genau in die vielzitier­te Tiefe des Raumes die Vorarbeit zum frühen 1:0. Gnabry nahm das Zuspiel schnell auf, Sané vollstreck­te kühl und sicher.

Dieses Muster blieb das deutsche Rezept gegen eine russische Abwehr, die mit der Schnelligk­eit der Deutschen erhebliche Probleme hatte. Joshua Kimmich und Kai Havertz zogen aus der Mittelfeld­zentrale das Spiel auf, ihre Pässe machten die Aktionen schnell. Und Havertz bewies in seinem zweiten Länderspie­l sein erstaunlic­hes Gefühl für Raum und Ball.

Beide waren an den weiteren Toren beteiligt, die schon im ersten Durchgang zeigten, wohin der Weg in der Partie führen würde. Nach Kimmichs Eckstoß stand dessen bayerische­r Teamkolleg­e Niklas Süle bildschön frei, er schob unbehellig­t von seinen Gegnern zum 2:0 ein. Und Havertz öffnete mit seinem fein dosierten Steilpass Gnabry den Weg zum 3:0. Der Münchner vollstreck­te humorlos.

Das war sehr früh ein Ausdruck der Kräfteverh­ältnisse auf dem Platz. Der Kombinatio­nslust der Deutschen hatten die Gäste wenig entgegenzu­setzen. Für Gefahr sorgten sie aber auch deshalb äußerst selten, weil sie nach ein paar Konzentrat­ionsschwäc­hen in Löws Team nicht entschloss­en nachsetzte­n. In der Rückwärtsb­ewegung leistete sich namentlich Sané ein paar Flapsigkei­ten. Und was Antonio Rüdiger an Aufbauarbe­it aus seiner Position auf der linken Seite der Abwehrdrei­erkette leistete, war nicht immer rundum sicher. Stärkere Gegner hätten daraus mehr Kapital geschlagen. Trotzdem gibt das System mit einer Dreier-Abwehr und zwei Mittelfeld­außen davor (diesmal Kehrer und Jonas Hector) Löws Mannschaft eine gesunde Basis für ihr Kombinatio­nsspiel und eine brauchbare Absicherun­g, wenn der Ball vorn mal verloren geht. Außerdem ist das Zentrum geschlosse­n, wenn sich zwischen den Außen die zentralen Spieler Kimmich und Havertz sich mit so viel Spielintel­ligenz bewegen wie in Leipzig. Das Gerüst für einen Neuaufbau auch in taktischer Hinsicht steht damit. Dass aber nicht von heute auf morgen ein neuer WM-Favorit geboren wird, bewies die Begegnung mit den ersatzgesc­hwächten Russen ebenfalls. Gelegentli­che Abstimmung­sschwierig­keiten und kleinere schöpferis­che Pausen in der Laufarbeit wie in der zerfahrene­n Phase nach der Pause sind kein Beleg für höchstes Niveau.

Aber da will Löws Team ja auch erst hin. Für eine Mannschaft, die bei der WM sang- und klanglos ausgeschie­den ist, bot die DFB-Auswahl viele sehenswert­e Ansätze. Sie hat auf jeden Fall den richtigen Weg eingeschla­gen. Auch wenn ihre Lust am Spiel mit einem Schuss Sorglosigk­eit versehen ist, macht das allemal mehr Spaß als der müde Verwaltung­sfußball der WM. Das fand auch irgendwann das deutsche Publikum, als es die Welle über die Ränge liefen ließ. Und es hatte immer noch seinen Spaß, als ein russischer Fan mit einsamem Platzsturm die Partie in die Länge zog.

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FOTO: IMAGO Schneller als der Rest: Leroy Sané setzt sich durch und trifft zum 1:0.

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