Über Geschichte und Gelassenheit
Barbara Stollberg-Rilinger erhält den Meyer-Struckmann-Preis.
Der gestrige Abend stand ganz im Zeichen der Geschichte. Die philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität verlieh Barbara Stollberg-Rilinger den Meyer-Struckmann-Preis für ihre Forschung auf dem Feld der frühen Neuzeit. Die Preisträgerin, die mit geschichtlichen Vergleichen äußerst vorsichtig ist, stellte am Ende ihrer Dankesrede dennoch eine starke These in den Raum: „Gesetzestreue kann man vielleicht erzwingen, Gesinnungstreue jedoch nicht.“
Nachdem Dekan Ulrich Rosar und Rektorin Anja Steinbeck die Anwesenden knapp begrüßt hatten, ließ sich Gert Kaiser, Präsident der Meyer-Struckmann-Stiftung für seine Worte mehr Zeit. „In Kürze ist es 30 Jahre her, dass die Heinrich-Heine-Universität ihren Namen bekam. Oft wurde nach der moralischen Verpflichtung gefragt, die damit einherginge“, sagte er. Die Universität könne jedoch niemals so radikal oder so schön ironisch sein wie ihr namensgebender Dichter. Dennoch gäbe es einen Auftrag zur Wachsamkeit, der aktuell wieder angebracht sei. Kaiser: „Da muss sich eine Uni fragen, wie sie sich dazu äußert.“
Preisträgerin Stollberg-Rilinger nutzte als Historikerin die Gelegenheit für eine kleine Geschichtsstunde. Spaltung, Polemik in den Medien, Protestaktionen — „Luthers Theologie befeuerte die Polarisierung.“ Mit anderen Worten: Aktuelle Ereignisse sind beileibe nicht so einzigartig, wie man vielleicht denken mag. Auch zur Zeit der Reformation schon habe es ein extremes Schwarz-Weiß-Denken gegeben. Glaube oder Unglaube — Grautöne seien nicht mehr möglich gewesen. Der Buchdrucks habe diese Gedankenwelt zudem rasch verbreitet. Strenge Gemeinderegeln und strikte Vorgaben der Obrigkeit sorgten letztlich für das, was heute Filterblase genannt wird.
Die Menschen hätten damals unter dem stetigem Druck gelebt, sich und ihre Konfession beweisen oder verleugnen zu müssen — je nachdem wer gerade fragte. Das habe dazu geführt, dass viele dazu übergingen, sich nach außen zu verstellen. Die „wahre“Verantwortung läge schließlich nur vor Gott. Diese permanente Unwissenheit, ob das Gegenüber nun aufrichtig ist oder sich verstellt, habe zu einer kommunikativen Sackgasse in Politik, Gesellschaft und Religion geführt. Je schärfer der Zwang war, sich zu einer bestimmten Konfession zu bekennen, umso mehr Aufwand hätten die Betroffenen betrieben, diesen Zwang zu umgehen.
„Die damalige Zeit ist aber nicht das Gleiche wie heute“, warnt Stollberg-Rilinger und ergänzt: „Wer nichts anderes kennt, als seine eigene Gegenwart, kennt auch diese nicht richtig.“Die Vergangenheit helfe nur, die Dinge der eigenen Zeit gelassener zu sehen, mit mehr Distanz.