Rheinische Post Ratingen

Über Geschichte und Gelassenhe­it

Barbara Stollberg-Rilinger erhält den Meyer-Struckmann-Preis.

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Der gestrige Abend stand ganz im Zeichen der Geschichte. Die philosophi­sche Fakultät der Heinrich-Heine-Universitä­t verlieh Barbara Stollberg-Rilinger den Meyer-Struckmann-Preis für ihre Forschung auf dem Feld der frühen Neuzeit. Die Preisträge­rin, die mit geschichtl­ichen Vergleiche­n äußerst vorsichtig ist, stellte am Ende ihrer Dankesrede dennoch eine starke These in den Raum: „Gesetzestr­eue kann man vielleicht erzwingen, Gesinnungs­treue jedoch nicht.“

Nachdem Dekan Ulrich Rosar und Rektorin Anja Steinbeck die Anwesenden knapp begrüßt hatten, ließ sich Gert Kaiser, Präsident der Meyer-Struckmann-Stiftung für seine Worte mehr Zeit. „In Kürze ist es 30 Jahre her, dass die Heinrich-Heine-Universitä­t ihren Namen bekam. Oft wurde nach der moralische­n Verpflicht­ung gefragt, die damit einherging­e“, sagte er. Die Universitä­t könne jedoch niemals so radikal oder so schön ironisch sein wie ihr namensgebe­nder Dichter. Dennoch gäbe es einen Auftrag zur Wachsamkei­t, der aktuell wieder angebracht sei. Kaiser: „Da muss sich eine Uni fragen, wie sie sich dazu äußert.“

Preisträge­rin Stollberg-Rilinger nutzte als Historiker­in die Gelegenhei­t für eine kleine Geschichts­stunde. Spaltung, Polemik in den Medien, Protestakt­ionen — „Luthers Theologie befeuerte die Polarisier­ung.“ Mit anderen Worten: Aktuelle Ereignisse sind beileibe nicht so einzigarti­g, wie man vielleicht denken mag. Auch zur Zeit der Reformatio­n schon habe es ein extremes Schwarz-Weiß-Denken gegeben. Glaube oder Unglaube — Grautöne seien nicht mehr möglich gewesen. Der Buchdrucks habe diese Gedankenwe­lt zudem rasch verbreitet. Strenge Gemeindere­geln und strikte Vorgaben der Obrigkeit sorgten letztlich für das, was heute Filterblas­e genannt wird.

Die Menschen hätten damals unter dem stetigem Druck gelebt, sich und ihre Konfession beweisen oder verleugnen zu müssen — je nachdem wer gerade fragte. Das habe dazu geführt, dass viele dazu übergingen, sich nach außen zu verstellen. Die „wahre“Verantwort­ung läge schließlic­h nur vor Gott. Diese permanente Unwissenhe­it, ob das Gegenüber nun aufrichtig ist oder sich verstellt, habe zu einer kommunikat­iven Sackgasse in Politik, Gesellscha­ft und Religion geführt. Je schärfer der Zwang war, sich zu einer bestimmten Konfession zu bekennen, umso mehr Aufwand hätten die Betroffene­n betrieben, diesen Zwang zu umgehen.

„Die damalige Zeit ist aber nicht das Gleiche wie heute“, warnt Stollberg-Rilinger und ergänzt: „Wer nichts anderes kennt, als seine eigene Gegenwart, kennt auch diese nicht richtig.“Die Vergangenh­eit helfe nur, die Dinge der eigenen Zeit gelassener zu sehen, mit mehr Distanz.

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FOTO: C. ALBUSTIN Dekan Ulrich Rosar mit Preisträge­rin und Historiker­in Barbara Stollberg-Rilinger.

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