Kanada geht an die Grenze
Die Regierung Trudeau will in den nächsten drei Jahren mehr als eine Million Zuwanderer ins Land holen. Das ist selbst für das weltweit bewunderte kanadische Einwanderungsmodell ein Stresstest – mit ungewissem Ausgang.
Beim Thema Einwanderung gehen die USA und Kanada bekanntlich krass unterschiedliche Wege: Während US-Präsident Donald Trump zuletzt im Vorfeld der Kongresswahlen unverhohlene Ressentiments gegen Zuwanderer und Flüchtlinge schürte und so auf Stimmenfang ging, will der nördliche Nachbar Kanada ein offenes Land bleiben und die Zuwanderung sogar weiter erhöhen.
Der Kontrast könnte nicht schärfer sein: Trump will Zuwanderer fernhalten und Flüchtlinge notfalls mit dem Einsatz von Soldaten abwehren. Kanada dagegen will laut Migrationsminister Ahmed Hussen in den nächsten drei Jahren so viele Zuwanderer ins Land lassen wie seit einem Jahrhundert nicht mehr. Dies jedenfalls legen die neuen Quoten nahe, die Hussen unlängst der Öffentlichkeit präsentierte. Kanada brauche mehr Einwanderer, um den Bedarf an Fachkräften zu decken und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, betonte Hussen.
Dazu will die Regierung des liberalen Premierministers Justin Trudeau nächstes Jahr rund 330.000 Zuwanderer neu ins Land holen, das sind 20.000 mehr als dieses Jahr und 80.000 mehr als in den Jahren davor unter dem konservativen Premierminister Stephen Harper. In den darauf folgenden zwei Jahren soll die Quote dann weiter steigen, auf zunächst 341.000 Menschen, dann auf 350.000 im Jahr 2021.
Gegenüber heute entspricht das einem Zuwachs von knapp 13 Prozent und stellt zugleich die höchste Zahl an Neuankömmlingen dar, die Kanada seit den großen Einwanderungswellen vor dem Ersten Weltkrieg aufgenommen hat. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl Kanadas werden allein die Neubürger damit jedes Jahr für ein Bevölkerungswachstum von rund einem Prozent sorgen.
Zum Vergleich: Das ist statistisch rund dreimal so viel wie derzeit in den Vereinigten Staaten. Trumps schrille Warnungen vor einer angeblich drohenden Zuwanderungs- und Flüchtlingswelle in die USA wirkt vor diesem Hintergrund geradezu grotesk.
Freilich, Kanada setzt seit jeher ganz gezielt auf Fachkräfte. In manchen Regionen Kanadas ist der Hunger nach Arbeitnehmern gewaltig. Kanada wolle wettbewerbsfähig und innovativ bleiben und zu einem attraktiven Ziel für Talente aus aller Welt werden, betonte der Migrationsminister. Auch gehe es darum, die Willkommenskultur Kanadas zu erhalten, sagte Hussen, der als junger Mann selbst als Flüchtling aus Somalia nach Kanada gekommen war, bevor er in der Politik Karriere machte.
Als traditionelles Einwanderungsland will Kanada dabei um junge Zuwanderer mit guter Ausbildung und Qualifikation werben. Gut 70 Prozent aller Neuankömmlinge sollen anhand beruflicher Kriterien und der Erfordernisse des Arbeitsmarktes ausgewählt werden. Bis zum Jahr 2021 sind das etwa 200.000 Fachkräfte im Jahr, die von der Bundesregierung in Ottawa, aber auch von den einzelnen Provinzen anhand lokaler Bedürfnisse ausgewählt werden.
Kanada benutzt dafür eine Art Punktesystem, das weltweit als vorbildlich gilt. Beim sogenannten Express-Entry-Verfahren werden Bewerber anhand von Kriterien wie Berufsausbildung, Alter, Sprachkenntnissen oder Integrationsfähigkeit bewertet und in einen Online-Bewerberpool aufgenommen, falls sie eine Mindestpunktezahl erreichen. Aus diesem Pool können sich die Unternehmen dann die passenden Kandidaten aussuchen und nach Kanada holen.
Gut ein Viertel aller neuen Zuwanderer soll laut dem neuen Plan im Rahmen der Familienzusammenführung nach Kanada kommen. Im kommenden Jahr sind dies etwa 88.000 Menschen. Diese Quote soll über die nächsten Jahre in etwa konstant bleiben. Der Rest der
Viel hängt davon ab, ob die Kanadier weiter Vertrauen in ihr staatlich gelenktes Punktesystem haben