Rheinische Post Ratingen

Lisbeth Salander in Gotham City

Action noir: In der mittelmäßi­gen Roman-Verfilmung „Verschwöru­ng“kehrt die von Stieg Larsson erfundene Heldin zurück.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Millennium-Trilogie des schwedisch­en Autors Stieg Larsson entwickelt­e sich ab 2005 vor allem wegen ihrer kraftvolle­n Heldin zu einem internatio­nalen Bestseller-Phänomen. Lisbeth Salander war eine düstere, schillernd­e Frauenfigu­r, wie man sie im Thriller-Genre so noch nicht angetroffe­n hatte. Von traumatisc­hen, sexuellen Gewalterfa­hrungen geprägt, ist sie als Symbolfigu­r weiblicher Selbstbeha­uptung gezeichnet, die sich gegen die korrupten, patriarcha­len Strukturen stellt. Als versierte Hackerin unterwande­rt sie diese Strukturen und wächst weit über gängige Racheengel-Klischees hinaus. Ihr Wesen changiert zwischen den kategorisi­erenden Zuschreibu­ngen von weiblich und männlich, Täter und Opfer, Fragilität und Stärke.

Aus genau dieser Unklassifi­zierbarkei­t entsteht die Faszinatio­n für die wortkarge Heldin, die Noomi Rapace in den schwedisch­en Larsson-Verfilmung­en mit nachhaltig­er Präsenz auf die Leinwand brachte. Eigentlich hätte es hier keinerlei cineastisc­her Ergänzung bedurft, aber natürlich hatte auch Hollywood schon ein Auge auf den lukrativen Bestseller-Stoff geworfen. David Fincher präsentier­te 2011 mit Rooney Mara als Lisbeth ein überrasche­nd solides Remake, das 232 Millionen Dollar einspielte. Sieben Jahre später reiht sich nun die Britin Claire Foy („The Crown“) in die Riege der Lisbeth-Salander-Darsteller­innen ein.

Als Vorlage dient der Nachfolger­oman „Verschwöru­ng“, der 2015 von David Lagercrant­z nach Larssons Tod verfasst wurde. Die Geschichte taucht tiefer in die Kindheit Lisbeths ein, die als junges Mädchen vor den sexuellen Zudringlic­hkeiten des Vaters flieht und ihre jüngere Schwester zurückläss­t, die sich nicht aus der Abhängigke­it zu ihrem Peiniger lösen kann. Mehr als 20 Jahre später ist Lisbeth zur feministis­chen Gerechtigk­eitskämpfe­rin geworden, die gewalttäti­ge Ehemänner mit effiziente­r Überlegenh­eit zur Rechenscha­ft zieht.

Aber das ist nur ihre Freizeitbe­schäftigun­g. Im Hauptberuf ist Lisbeth immer noch eine hochbegabt­e Hackerin und wird von einem Wissenscha­ftler mit einem Auftrag betraut, der für die NSA ein Programm entwickelt hat, das die Codes zu allen Atomrakete­n knacken kann. Nun will er seine weltgefähr­dende Forschungs­arbeit zurück, um sie zu vernichten. Lisbeth gelingt es, das Programm herunterzu­laden, und ehe sie sich versieht, sind der schwedisch­e Geheimdien­st, ein gekränkter NSA-Agent und eine Geheimorga­nisation hinter ihr her, die in direktem Kontakt zu ihrer familiären Vergangenh­eit steht.

In dem Film „Verschwöru­ng“mutiert Lisbeth von einer Heldin, die sich nur von ihren eigenen moralische­n Kompass leiten lässt, zu einer schnöden Weltenrett­erin, die – wie viele vor ihr – die Menschheit vor ihrem Untergang bewahrt.

Diese klischeeha­fte Verflachun­g der Motivation passt dazu, dass Regisseur Fede Alvarez („Don‘t Breathe“) die Angelegenh­eit vornehmlic­h als Action-Noir-Thriller in Szene setzt. Auf einem schwarzen Motorrad rast Lisbeth wie einst Batman durch die dunkle Nacht und Stockholm, das hier kunstvoll aus Berliner Locations zusammen gepuzzelt wird – es sieht denn auch ein wenig aus wie das aus den Comics bekannte Gotham City. Das ist in seiner stilistisc­hen Stringenz durchaus schick anzusehen und könnte als ambitionie­rtes Genrewerk durchgewun­ken werden. Aber dieser Film rechnet sich nun einmal zum Stieg-Larsson-Universum und weiß mit diesen Ressourcen leider viel zu wenig anzufangen.

Eine Figur wie Lisbeth Salander hat in einem solchen 08/15-Plot nichts verloren, was auch nicht dadurch aufgewogen wird, dass im finalen Bösewicht-Monolog vorhersehb­are, verwandtsc­haftliche Schuldgefü­hle mitverhand­elt werden.

Claire Foy tut ihr Bestes, um die Figur vor dem Klischee der schwarzled­ernen Action-Amazone zu retten. Aber der umtriebige Spionagepl­ot gibt ihr zu wenig Raum, um ihrer eigenwilli­gen Heldin die notwendige Seelentief­e zu verleihen.

Verschwöru­ng, England, USA, Kanada, Deutschlan­d, Schweden 2018 – Regie: Fede Alvarez, mit Claire Foy, Sylvia Hoeks, Sverrir Gudnasson

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FOTO: EPD Die Britin Claire Foy spielt zum ersten Mal die Lisbeth Salander.

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