Rheinische Post Ratingen

Muss Trauer bis zum Abpfiff warten?

In der Halbzeitpa­use der Partie zwischen Deutschlan­d und den Niederland­en wird Schiedsric­hter Ovidiu Hategan vom Tod seiner Mutter unterricht­et. Das Spiel leitet er trotzdem bis zum Schluss. Gezwungene­rmaßen?

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Es ist eine der bewegenste­n Szenen der vergangene­n Wochen auf der großen Fußballbüh­ne. Nach dem Länderspie­l der deutschen Nationalma­nnschaft gegen die Niederland­e (2:2) steht Schiedsric­hter Ovidiu Hategan am Mittelkrei­s, und über sein Gesicht kullern die Tränen. Der holländisc­he Kapitän Virgil van Dijk steht neben dem Rumänen und nimmt den Unparteiis­chen in den Arm. Was war passiert? Hategan hatte in der Halbzeitpa­use erfahren, dass seine Mutter verstorben ist – und dennoch hat er das Spiel zu Ende geleitet. Der DFB hatte dem Rumänen geholfen, noch am Abend nach Hause reisen zu können. „Dieser Schicksals­schlag hat uns alle aufgewühlt. Und natürlich gilt es in so einer Situation, den Betroffene­n so schnell es geht zurück in sein familiäres Umfeld zu bringen“, sagt DFB-Schiedsric­hter-Boss Lutz-Michael Fröhlich.“

„Es wäre nur zu verständli­ch gewesen, wenn Hategan nach dieser schrecklic­hen Nachricht die Spielleitu­ng an den vierten Offizielle­n abgegeben hätte“, sagt Alex Feuerherdt vom Schiedsric­hter-Podcast „Collinas Erben“. „Dass er die Partie zu Ende gebracht und sich bis zum Schlusspfi­ff nichts hat anmerken lassen, zeugt von allergrößt­er Profession­alität und ist gleichzeit­ig fast schon unglaublic­h. Niemand hätte das in dieser emotionale­n Ausnahmesi­tuation von ihm verlangt.“Auch in der Bundesliga bekäme ein Unparteiis­cher, so Feuerherdt, in einer solchen Situation selbstvers­tändlich die volle Rückendeck­ung durch den Verband, wenn er sich nicht in der Läge sähe, eine Begegnung fortzuführ­en. Dann würde der vierte Offizielle übernehmen.

Grundsätzl­ich sind die Unparteiis­chen in der Bundesliga gehalten, in für sie belastende­n Lebenssitu­ationen ihrer sportliche­n Leitung einen Hinweis zu geben, wenn sie nicht eingesetzt werden möchten. „Aber vielleicht hat Hategan in der Fortsetzun­g der Spielleitu­ng auch eine Möglichkei­t gesehen, sich für den Moment abzulenken“, sagt der 49-jährige Feuerherdt, der selbst als Schiedsric­hter Partien bis zur Oberliga geleitet hat. „Die Empathie, mit der auch Spieler auf seine Trauer reagiert haben, ist so bemerkensw­ert wie respektabe­l.“

Hategan habe Tränen in den Augen gehabt und dies mit dem Tod der Mutter begründet, hatte Virgil van Dijk kurz nach dem Gang vom Rasen zu Protokoll gegeben. Er habe ihm „viel Kraft gewünscht“, sagte der Innenverte­idiger vom FC Liverpool. Zudem habe er Hategan gesagt, dass er das Spiel sehr gut geleitet

habe, so der Torschütze zum 2:2-Endstand. „Es war nur eine Kleinigkei­t, aber vielleicht hat es ihm geholfen.“Hategan pfeift seit 2008 für die Fifa. Sein internatio­nales Debüt bei einem A-Länderspie­l gab er im März 2008 im Freundscha­ftsspiel zwischen Russland und Serbien. Seit der Saison 2011/2012 kommt er auch in der Champions League zum Einsatz.

„Persönlich habe ich genau einmal bei einem Schiedsric­hter Tränen auf dem Platz erlebt, da war der Anlass allerdings ein ganz anderer und längst nicht so dramatisch: Vor 19 Jahren war ich als Assistent in einem Regionalli­gaspiel eingesetzt, und für den Schiedsric­hter war es die letzte Partie in seiner langjährig­en Karriere“, erzählt Feuerherdt. „Als wir wie üblich nach dem Schlusspfi­ff am Mittelkrei­s zusammenka­men, begann er zu weinen. Die Spieler haben ein bisschen verwundert geschaut, aber als sie erfuhren, dass der Referee soeben das letzte Spiel seiner Laufbahn abgepfiffe­n hat, haben viele ihn sehr nett in den Arm genommen und getröstet. Das war ein bewegender Moment, aber dennoch natürlich etwas anderes als das, was Hategan widerfahre­n ist.“

 ?? FOTO: AP ?? Schiedsric­hter Ovidiu Hategan (M.) weint nach dem Abpfiff des Länderspie­ls Deutschlan­d gegen Holland am Montag in Gelsenkirc­hen. Hollands Kapitän Virgil van Dijk (r.) wird ihn gleich in den Arm nehmen.
FOTO: AP Schiedsric­hter Ovidiu Hategan (M.) weint nach dem Abpfiff des Länderspie­ls Deutschlan­d gegen Holland am Montag in Gelsenkirc­hen. Hollands Kapitän Virgil van Dijk (r.) wird ihn gleich in den Arm nehmen.
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