Die Vogel mit der Silberkehle
Die Mezzosopranistin Eva Vogel, lange an der Düsseldorfer Oper engagiert, reist zu Konzerten in der ganzen Welt.
Sechs Lieder – das ist der Umfang von „Les nuits d’été“, der „Sommernächte“von Hector Berlioz. Das klingt simpel. Doch manche Sänger sagen: Jedes dieser sechs Lieder ist eine eigene kleine Oper.
Eva Vogel hat diese sechs kleinen Opern gerade in Österreich gesungen, unter anderem im großen Saal des Wiener Musikvereins. „Was für ein Ritterschlag“, sagt sie. „Wenn ich überlege, wer schon vor mir auf dieser Bühne gestanden hat.“
Die 42-jährige Mezzosopranistin ist schon in vielen namhaften Häusern aufgetreten: im Londoner Covent Garden, in der New Yorker Carnegie Hall, in der Berliner Staatsoper. Mehrere Jahre, zuletzt 2008, war sie engagiert an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Sie singt in Italien, Belgien, Frankreich, Japan, Korea, Kanada. Sie wohnt in Korschenbroich. Sie ist aufgewachsen in Meerbusch.
Nur durch Üben kommt man in die Carnegie Hall, heißt es. Eva Vogel übt täglich mehrere Stunden – und das seit vielen Jahren. Wenn sie ihre beiden Kinder morgens auf den Weg zur Schule gebracht hat, macht sie eine Stunde Yoga. Das ist ihr heilig. „Danach fühle ich mich in meinem Körper angekommen.“Anschließend setzt sie sich für zwei oder drei Stunden ans Klavier. Oder ins Auto – und fährt nach Düsseldorf an die Oper. Die Korrepetitoren – Klaviermusiker, die spezialisiert darauf sind, Sänger oder Orchester bei ihren Proben zu begleiten – kennt sie schon lange; sie helfen ihr beim Feinschliff. „Wenn ich zu ihnen gehe, kann ich die Stücke möglichst schon auswendig“, sagt Eva Vogel. „Das ist mein Anspruch.“
Sie will ihre Sache gut machen. Das war schon als kleines Mädchen so. „Ich war relativ klar“, sagt sie. „Ich wusste, was ich wollte.“Sie wollte, dass alle glücklich und zufrieden sind. Und sie wollte Erfolg haben. „Ich war strebsam. Ehrgeizig. Wenn man das von einem zehnjährigen Mädchen sagen kann.“Ihre Sachen sollten ordentlich sein. Ihre Schulhefte führte sie in Schönschrift. Ihre Noten waren gut. Ballettstunden mochte sie nicht. Stattdessen fuhr sie lieber Skateboard.
Der Vater, ein gelernter Maschinenbauer in leitender Funktion bei Thyssen, brachte die Familie 1986 von Mannheim nach Meerbusch. Die erste Erinnerung an Düsseldorf? Die Patentante nahm Eva und ihren Bruder mit nach Düsseldorf – zu McDonald’s. Zu Hause gab es sonst gesunde Reformhauskost. Die Auswahl erschlug die kleine Eva. „Meine Tante hat mir dann einen Burger und einen Vanille-Milchshake empfohlen.“Der Geschmack der großen, weiten Welt.
Der Vater liebte Musik, wäre selbst gern Opernsänger geworden. Ständig lief zu Hause klassische Musik. Eva rebellierte. Ob man nicht mal Popmusik im Radio hören könne? Doch heimlich nahm sie die Klassik-CDs ihrer Eltern mit aufs Zimmer. „Die Songs aus den Charts gehen direkt ins Ohr“, sagt sie. „Aber sie nutzen sich auch schnell ab. Bei Klassik ist es genau umgekehrt.“Je mehr man sich damit beschäftige, desto mehr wisse man die Schönheit der Musik zu schätzen.
Das intensive Üben hat sie unter anderem bei ihrer Ausbildung in den USA gelernt, an der Opernsängerschule der Universität Yale. Dort verkündeten die Lehrer regelmäßig, welche Oper auf dem Programm stehe und wer welche Rolle lernen musste. Drei Wochen später standen die Sänger dann vor der versammelten Lehrerschaft und mussten die komplette Rolle auswendig vorsingen. „Davor hatte ich enormen Respekt“, sagt Eva Vogel heute. „Vor diesen strengen, liebevollen Lehrern – besonders vor der Leiterin des Programms, Doris Cross.“Diese Doris Cross leitet – über 80-jährig – noch heute die Opernsängerschule und saß bei Eva Vogels Konzert in der Carnegie Hall 2015 im Publikum. „Ich werde das nie vergessen“, sagt Vogel, „wie diese Frau, vor der ich so viel Respekt habe, so stolz auf mich war.“
Bis heute singt sie am liebsten ohne Noten. Auch „Les nuits d’été“, was hochanspruchsvoll ist, denn Berlioz’ Lieder sind für ihre Texte – französische Gedichte von Théophile Gautier – bekannt. „Eine Explosion der Poesie von etwa fünf Din-A4-Seiten, eng bedruckt in Schriftgröße 6“, scherzt Eva Vogel. „Ich weiß auch nicht, wie ich das eigentlich mache.“Die Stücke haben kaum Instrumentalvorspiele, eins folgt aufs andere. Die Sängerin muss alles sofort präsent haben.
Aber einen Spickzettel gibt es nicht – den will Eva Vogel nicht. „Noten beschränken mich in meiner Interpretation“, sagt sie. „Außerdem schaue ich lieber das Publikum an, als in die Noten.“
„Les nuits d’été“hat Eva Vogel in Düsseldorf mit Christoph Stöcker erarbeitet. Den Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein (DOR) begeistert besonders, wie gut vorbereitet Vogel stets bei ihm erschien. „Sie ist hochprofessionell und macht auf mich immer den Eindruck, dass sie noch mehr will.“Sie fordere Kritik ein, um noch weiterzukommen. „Das ist nicht selbstverständlich.“
Die DOR ist für Eva Vogel, die Weitgereiste, musikalische Heimat geblieben. „Mit ihr verbinde ich fast ein familiäres Gefühl“, sagt sie. „Weil die DOR so nah ist, ist sie für mich immer die erste Adresse, um auch mit meiner Familie gemeinsam Musik zu erleben und genießen zu können.“