Volkspartei in Grün
Die Grünen kennen aktuell nur eine Richtung: nach oben.
Größer, breiter, grüner – die einst als Anti-Partei mit zwei Themen – Frieden und Umweltschutz – gestarteten Grünen sind zur heimlichen Volkspartei geworden. Sie sagen das nicht laut – wie sie es ohnehin schaffen, alle Debatten, die möglicherweise den Popularitätswerten schaden könnten, zu vermeiden. Mit einer Debatte, ob man nun Volkspartei ist, hätten die Grünen zwei Probleme: Die Stammwählerschaft, die sich immer noch ein wenig im Protestlager wähnt, könnte verschreckt werden. Zudem würden die Grünen viel mehr auf Programm und Konsequenz geprüft, wenn sie sich tatsächlich als neue linke Kraft der Mitte und damit auch als Kanzlerkonkurrenz zu Union und SPD aufschwingen.
Die Grünen sind vorsichtig geworden: Zu oft waren sie in den vergangenen Jahren zwischen zwei Wahlen Umfragekönige, um dann pünktlich zum Wahltermin auf den Boden der Tatsachen zu sinken. So wirkte Winfried Kretschmann stets als mächtiger Solitär in der Partei. Solitär ist Kretschmann immer noch. Sein Einfluss auf die Grünen hat aber nachgelassen. Das neue Führungsduo aus Annalena Baerbock und Robert Habeck zeigt Geschlossenheit und programmatische Unbeirrbarkeit – zwei weitere wichtige Punkte für den aktuellen Erfolg der Partei. Über Zwischenrufe von Kretschmann, die einst die Partei in große Kontroversen stürzen konnte, regt sich heute – zumindest öffentlich – niemand mehr auf.
Wenn die Umfragewerte so bleiben, werden die Grünen tatsächlich zum ersten Mal einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin brauchen. Sie werden nicht als die Partei in die Geschichte eingehen wollen, die der Union dauerhaft und ohne Gegenwehr das Kanzleramt überlässt. In diesem Kampf werden auch für die Grünen wieder härtere Zeiten anbrechen.