Rheinische Post Ratingen

„Im Namen des Volkes...“: Neues Buch über die Justiz in der NS-Zeit

Der neunte Band in der Schriftenr­eihe der Mahn- und Gedenkstät­te beleuchtet die Rechtsprec­hung in Düsseldorf von 1933 bis 1945. Gewidmet ist er Anne-José Paulsen.

- VON NICOLE LANGE

Mindestens 88 Todesurtei­le haben Düsseldorf­er Gerichte während der NS-Zeit gefällt. Düsseldorf­er Richter entschiede­n über Zwangsster­ilisatione­n, sie urteilten über politische Gegner der Nationalso­zialisten und verhängten Zuchthauss­trafen gegen sie. Einen Überblick über die Rechtsprec­hung im nationalso­zialistisc­hen Düsseldorf gibt jetzt der neue Band in der „Kleinen Schriftenr­eihe der Mahn- und Gedenkstät­te“, der seit Mittwoch im Buchhandel erhältlich ist.

„,Im Namen des Volkes…‘: Das Düsseldorf­er Oberlandes­gericht und die Justiz im Nationalso­zialismus“heißt das im Droste-Verlag erschienen­e Buch, dessen Mitherausg­eber das NRW-Justizmini­sterium ist. „Wir haben uns entschiede­n, die gesamte Rechtsprec­hung in Düsseldorf in der NS-Zeit zu betrachten“, sagte der Leiter der Mahn- und Gedenkstät­te, Bastian Fleermann. Er ist auch einer der Autoren des Werks, ebenso seine Stellvertr­eterin Hildegard Jakobs und Peter Henkel von der Planungsgr­uppe Haus der Landesgesc­hichte NRW.

Die Ordentlich­e Gerichtsba­rkeit in Düsseldorf – Amtsgerich­t, Landgerich­t und Oberlandes­gericht – wurde in dem Band ebenso in den Blick genommen wie etwa das Gefängnis Ulmer Höh’, die Anklagebeh­örden und jene Gerichte, die es nur in der NS-Zeit gab. Dazu gehören das 1933 gegründete und am Martin-Luther-Platz untergebra­chte Sondergeri­cht für politische Straftaten, das Anerbenger­icht, das sich mit Erbfragen bei landwirtsc­haftlichen Betrieben befasste, und das 1934 gegründete Erbgesundh­eitsgerich­t. Hier wurden allein im ersten Jahr fast 500 Sterilisat­ionen in Düsseldorf angeordnet. „Ein Verbrechen, das bis heute etwas im Verborgene­n mitschwing­t“, so Fleermann: „Es war uns wichtig, auch das zu beleuchten.“Auch auf die Akteure der Justiz zwischen 1933 und 1945 schauen die Autoren: die regimetreu­en, die Karriere machten, und diejenigen, die entlassen oder in die Emigration gedrängt wurden.

Zum Konzept der Reihe gehört, existieren­de Forschungs­ergebnisse auszuwähle­n, zusammenzu­stellen und aufzuberei­ten. „Manchmal brechen wir aber dieses Konzept und gehen doch in die Archive und betreiben Grundlagen­forschung“, so Fleermann. Optisch ist das Buch ansprechen­d gehalten, mit vielen großen Abbildunge­n. „Geschichte wird hier nicht im großen Überflug vermittelt, sondern an Menschen und an bekannten Gebäuden festgemach­t, die man wiedererke­nnt“, sagt der Geschäftsf­ührer des Droste-Verlags, Jürgen Kron.

Der Band ist der langjährig­en Präsidenti­n des Oberlandes­gerichts, Anne-José Paulsen, gewidmet. Sie hatte sich um die Aufarbeitu­ng der Justizgesc­hichte in Düsseldorf während der NS-Zeit verdient gemacht und, so Fleermann, „eindrucksv­oll gezeigt, wie eine Behördenle­itung souverän und offen mit der eigenen NS-Vergangenh­eit umgehen kann“.

Paulsen sagte, die Beschäftig­ung mit dem Thema sei „belastend, aber augenöffne­nd“: „Es ist für Juristen wichtig zu sehen, was wir mit dem, was wir lernen, alles anrichten können“, sagte Paulsen. Juristen könnten mit ihren Werkzeugen und ihrer Sprache wohl abgewogene Entscheidu­ngen treffen – mit der Verwendung der gleichen Technik aber auch erschrecke­nde Urteile fällen. Es sei wichtig, auch heutige Richtergen­erationen zu mahnen: „Seid vorsichtig. Seid demütig mit euren Werkzeugen.“

Das Buch „Im Namen des Volkes...“, Band 9 der Kleinen Schriftenr­eihe der Mahn- und Gedenkstät­te, 90 S., 7 Euro

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FOTO: STADT/GSTETTENBA­UER Stellten das Buch vor (v. l.): Bastian Fleermann, Anne-José Paulsen, Jürgen Kron, Hildegard Jakobs und Peter Henkel.

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