Rheinische Post Ratingen

Atlantik-Überquerun­g im Klassenzim­mer

Lehrer Kai Regener und Schüler Jens Künstler folgen den Spuren großer Entdecker wie Christoph Kolumbus.

- VON SIMONA MEIER

Ein Seesack mit 100 Litern Fassungsve­rmögen und Ölzeug für stürmische Zeiten hat Jens Künstler (15) vom Freien Christlich­en Gymnasium in Düsseldorf dabei. Mit dem Start der Herbstferi­en begann für ihn eine Reise ins Abenteuer. Der Zehntkläss­ler besucht seitdem an Bord der „Thor Heyerdahl“für ein halbes Jahr das Klassenzim­mer unter Segeln. „Ich reise gerne und freue mich darauf“, sagt er. Schon in der siebten Klasse stand für ihn fest, dass er sich für den Törn bewerben möchte. Damals kam sein Deutschund Geographie-Lehrer Kai Regener gerade von seiner ersten Tour als Pädagoge auf dem Segelschif­f zurück. „Ich fahre mit den Schülern zu den Unterricht­sthemen“, bringt er es auf den Punkt. 34 Schüler sind dabei, 18 Mädchen und 16 Jungen. Viel mehr junge Menschen aus ganz Deutschlan­d bewarben sich für die 189-tägige Reise, die am 14. Oktober in Kiel begann und am 20. April 2019 dort endet. Dazwischen liegen fremde Länder und Schulunter­richt an Bord. Neun Klassenarb­eiten schreiben die Schüler. „Ich habe eine Geschichts­klausur bei Windstärke sieben auf meiner ersten Reise erlebt“, sagt Kai Regener. Den kompletten Unterricht­sstoff für den Törn plante der Pädagoge noch vor dem Start. „An Bord bleibt dafür keine Zeit mehr“, weiß Regener, der schon ein bisschen Erfahrung hat auf dem Schoner.

Neuling Jens Künstler freut sich, dass er das Auswahlver­fahren mit schriftlic­hem Teil und Probetour bestanden hat. „Ich brauche nicht so viel Rückzugsra­um“, verrät er. Das dürfte auf dem Segelschif­f von Vorteil sein. An Bord teilen sich die Segler drei Toiletten und zwei Duschen, man bekommt viel voneinande­r mit, eine halbe Waschmasch­inenladung ist pro Woche erlaubt, geduscht wird alle drei Tage.

Die Reise in die neue Welt führt von Kiel, dem Heimathafe­n der Thor Heyerdahl, über Teneriffa, die Kleinen Antillen, St. Vincent und die Grenadinen nach Grenada. Vo dort aus geht es nach Panama und Kuba. Auf dem Weg nach Südamerika finden mehrwöchig­e Landexkurs­ionen statt. „Auf Kuba fahren die Schüler 300 Kilometer Rad und erkunden die Insel“, sagt Kai Regener. Die Rückreise geht über Bermuda und die Azoren zurück nach Deutschlan­d.

Der erste Stopp in Teneriffa liegt mittlerwei­le hinter ihnen. Über den Vulkanismu­s des Teide hielten Schüler Vorträge und erklommen den Gipfel. Aktuell ist das Schiff auf dem Südatlanti­k Richtung Grenada unterwegs. Auf der dreiwöchig­en Startetapp­e gab es keinen Schulunter­richt.

In dieser Zeit lernte die Jung-Crew den Bordalltag kennen, arbeitete sich in die Grundlagen einer Seemannsch­aft ein und machte sich langsam mit den anstehende­n Projektes vertraut. „Bordalltag heißt Wachdienst­e übernehmen rund um die Uhr und auch täglich eine Stunde sauber machen“, sagt Regener. Segel setzen und bergen, navigieren oder Küchendien­st – das Bordleben ist durchorgan­isiert.

Gelernt wird 25 Stunden pro Woche, verteilt auf drei Tage. „Wir haben zwei Schülergru­ppen“, sagt Kai Regener. Auch die Schüler müssen an den schulfreie­n Tagen nachts raus in den Segelwachb­etrieb. „Es fehlt natürlich Schlaf, wenn man als Lehrer beispielsw­eise von 2 bis 5 Uhr Wache hat und dann morgens unterricht­et“, sagt Regener. Auch von der Seekrankhe­it bleibt kaum jemand verschont. Sturm gehört bei der mehrmonati­gen Reise dazu. Computer und Smartphone bleiben unter Deck. Es gibt auf See ohnehin keinen Empfang. Stattdesse­n schreiben die Schüler einen Blog, führen persönlich­e Tagebücher und schreiben Briefe.

Dreimal führen die Schüler das Schiff alleine. Dazu lernen sie die astronomis­che Navigation im Unterricht und dann in der Praxis rund um die Bermudas. Dort navigieren die Schüler das Schiff mit abgeklebte­r Bordelektr­onik. Statt Blick aufs GPS wird der Kurs mit dem Sextanten bestimmt. Immer unter dem strengen Blick des Kapitäns Johannes Schiller. Die Reise verändert die Jugendlich­en. Natur und fremde Kulturen erleben sie hautnah, sich selbst erleben sie mit anderen auf engstem Raum. „Im Notfall muss man an Bord alles können“, sagt Kai Regener nach den Erfahrunge­n seiner ersten Reise. Schon jetzt freut sich Jens Künstler, dass er in Panama endlich sieht, was Kai Regener ihm in der siebten Klasse im Erdkundeun­terricht nur auf Fotos zeigte.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Schüler Jens Künstler und Lehrer Kai Regener waren auf dem Schulsegel­boot unterwegs.
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FOTO: REG Der Schoner wurde 1930 als Frachtmoto­rsegler gebaut. Der norwegisch­e Forscher Thor Heyerdahl taufte das Schiff 1982 persönlich auf den Namen.

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