Rheinische Post Ratingen

„Wir hätten gerne mehr für ihn getan“

Landrat Thomas Hendele spricht über Opferschut­z und den brutalen Überfall auf einen Haaner Renter.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE SABINE MAGUIRE

HILDEN/HAAN Im Mai 2017 wurde der 83-jährige Carl Kaufhold aus Haan zum Opfer eines brutalen Raubüberfa­lls. Die Täter traktierte­n und bedrohten ihn über vier Stunden hinweg, um ihn schließlic­h gefesselt, geknebelt und mit einer Tüte über dem Kopf vor seinem brennenden Haus zurückzula­ssen. Er überlebte nur knapp und kämpft – anfangs über Monate im Hotel und mittlerwei­le in einem kleinen Appartemen­t wohnend – noch immer mit den existentie­llen Folgen des Überfalls. Während sich die Versicheru­ng weigert, die Schäden angemessen zu regulieren, läuft ihm kostbare Lebenszeit davon, die er gerne wieder in seinem Haus verbringen würde.

Die Tat hatte über die Stadtgrenz­en hinaus für Entsetzen gesorgt – die Haaner Bürgermeis­terin Bettina Warnecke, eine gegenüber wohnende Bundestags­abgeordnet­e und auch der Landrat hatten öffentlich ihr Bedauern geäußert. Von Ihnen fühlt sich Carl Kaufhold nun alleingela­ssen - sie würden nur rote Bändchen durchschne­iden und ansonsten sehe und höre man von ihnen nichts. Wir sprachen über diesen Vorwurf mit Landrat Thomas Hendele.

Herr Hendele, Sie wissen von dem Überfall auf den Senior in Haan. Carl Kaufhold fühlt sich als Opfer alleingela­ssen und hatte darauf gehofft, dass Sie – und auch die Bürgermeis­terin und eine in seiner Nachbarsch­aft wohnende Bundestags­abgeordnet­e – mehr für ihn tun, als nur öffentlich Ihr Bedauern auszudrück­en...

Thomas Hendele: Für meine Behörde kann ich sagen, dass wir durchaus mehr getan haben. Unser Kommissari­at „Opferschut­z“hat Herrn Kaufhold nur wenige Tage nach dem Überfall telefonisc­h kontaktier­t, um ihm Hilfe anzubieten. Herr Kaufhold hat das damals abgelehnt und gesagt, er brauche keine Hilfe. Wir hätten gerne mehr für ihn getan.

Die Hilfsangeb­ote des Opferschut­zes kommen meist gleich nach der Tat. Muss man nicht davon ausgehen, dass die Opfer traumatisi­ert sind, ihre Lage möglicherw­eise noch nicht überschaue­n können und die Probleme erst später kommen?

Hendele: Ja, das ist durchaus möglich und vielleicht war es in diesem Fall auch so. Wir können allerdings nicht im Wochenrhyt­hmus unsere Hilfe anbieten. Wir haben, nachdem Herr Kaufhold öffentlich seine Vorwürfe erhoben hatte, über unseren Opferschut­zbeauftrag­ten nochmals Kontakt mit ihm aufgenomme­n. Herr Kaufhold war mit der Polizeiarb­eit zufrieden und hat erneut bekräftigt, dass ihm der Opferschut­z bei seinen derzeitige­n Problemen nicht helfen könne. Gibt es möglicherw­eise Grenzen, an denen der Opferschut­z nicht mehr greift und sich die Opfer von Straftaten nur noch selbst helfen können?

Hendele: Ist jemand traumatisi­ert, dann sind wir als Behörde schnell am Ende. Allerdings sind wir gut vernetzt und würden in solchen Fällen therapeuti­sche Unterstütz­ung empfehlen. Um so etwas beurteilen zu können, muss man sich allerdings gegenübers­itzen, und die Betroffene­n müssen sich darauf einlassen können. Es geht nur mit ihnen und nicht ohne sie.

Bei Carl Kaufhold ist es so, dass die Versicheru­ng den Schaden am Haus nicht in der erforderli­chen Höhe zahlen will ....

Hendele: Es gibt als Folge von Straftaten für die Opfer durchaus Probleme, die wir als Polizei nicht lösen können. Der polizeilic­he Opferschut­z kann keine zivilrecht­lichen Verfahren führen – da sind wir raus.

Ihnen wurde in dem hier vorliegend­en Fall vorgeworfe­n, nur rote Bändchen durchzusch­neiden. Hören Sie derartige Vorwürfe eigentlich oft und wie gehen Sie damit um?

Hendele: Wir hören so etwas schon mal – wer ein Bußgeld bekommt, wird mir nicht freundlich schreiben. Bei einem solchen Politiker-Bashing klingt wohl auch die allgemeine Politikver­drossenhei­t durch. Eines ist mir allerdings wichtig: Wer an den Landrat schreibt, bekommt vom Landrat eine Antwort.

Wie oft sind sie eigentlich zu solch repräsenta­tiven Anlässen unterwegs?

Hendele: Die Verleihung des Bundesverd­ienstkreuz­es, der 100. Geburtstag oder auch die diamantene Hochzeit: Bei sowas gehe ich natürlich hin. Das gehört zu meinem Job dazu, allerdings ist es der geringste Teil meiner Tätigkeit. Ich habe zwei Behörden zu leiten – vieles von dem, was hier getan werden muss, sehen die Leute draußen gar nicht.

Bleibt Ihnen dabei überhaupt noch Raum und Zeit für Zugewandth­eit und Empathie?

Hendele: Empathie muss man sich unbedingt bewahren. Ich bin viel unterwegs und spreche mit Menschen. Manches geht mir durchaus nahe – so wie auch der brutale Überfall auf Herrn Kaufhold. Das hat uns hier gleich nach der Tat bewegt hat und es bewegt uns noch immer.

Was würden Sie Carl Kaufhold aus der Distanz zurufen wollen? Hendele: Dass ich mich freuen würde, wenn er zu mir käme und wir über alles reden könnten. Selbstvers­tändlich gibt es auch nach wie vor das Angebot, sich vom Opferschut­z helfen zu lassen. Das gilt im Übrigen für alle Opfer von Straftaten, denen ich sagen möchte: Scheuen Sie sich nicht, sich die nach solchen Vorfällen normalen Gefühle von Schwäche und Ohnmacht einzugeste­hen. Und nehmen Sie die Hilfe an, die wir Ihnen bieten können!

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FOTO: MIKKO SCHÜMMELFE­DER

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