Rheinische Post Ratingen

Loben wie der Nikolaus

Auf Tadel und Ermahnung verzichtet der Mann mit Mitra und Bart heute in aller Regel. Die Kultur des Lobes steht auch bei Pädagogen im Vordergrun­d. Ganz ohne Ermahnunge­n geht es meistens aber nicht.

- VON JÖRG JANSSEN

Wenn Sebastian Vogt heute die Jungen und Mädchen der Caritas-Kita an der Leopoldstr­aße besucht, wird er das traditione­lle Goldene Buch aufschlage­n. Doch was der mit Bart und Bischofsge­wand ausgestatt­ete 39-Jährige vorliest, unterschei­det sich grundlegen­d von dem, was viele Erwachsene in diesem Moment erwarten. „Ich ermahne weder zum lieb sein, noch dazu, im kommenden Jahr das Zimmer besser aufzuräume­n, sondern berichte über nette Anekdoten aus dem Leben der Kita-Gruppe“, sagt Vogt.

Damit trifft der Mann, der vor drei Wochen Vater wurde, den Nerv der Zeit. „Wir halten gar nichts von einer Pädagogik des erhobenen Zeigefinge­rs“, sagt Erzieherin Marion Meinecke. Eine Marschrich­tung, die selbstvers­tändlich auch am 6. Dezember gelte. „Nikolaus ist ein liebender, ein teilender Mensch, ein Vorbild, das Not lindert und Freude bereitet“, sagt die 52-Jährige. Um dieses freundlich­e Image zu untermauer­n, beschenke der Heilige Mann an diesem Tag auch nicht einzelne Kinder, sondern immer die jeweilige Gruppe. „Es gibt einen großen Teller mit Nüssen, Mandarinen, Äpfeln und Schokolade“, sagt die Einrichtun­gsleiterin.

Doch funktionie­rt das, was den Nikolaus des 21. Jahrhunder­ts ausmacht, auch jenseits kindlicher Feiertage? Dass es ganz ohne ein System von Belobigen und Ermahnen nicht geht, weiß Birgit Nösser, Leiterin der katholisch­en Carl-Sonnensche­in-Schule in Düsseltal. „Wir loben ein Kind, das seinen Platz top aufgeräumt hat, würden aber seinen unordentli­chen Sitznachba­rn nicht öffentlich ausschimpf­en“, beschreibt die Pädagogin den Ansatz, bei dem stets die Ermunterun­g im Vordergrun­d steht.

Wer besonders engagiert oder fleißig sei, dürfe beispielsw­eise bestimmen, welches Spiel an diesem Tag im Sportunter­richt an die Reihe komme oder welches Buch in der Pause gelesen werde. Erst wenn ein Verhalten ernsthaft oder auf Dauer aus dem Ruder laufe, komme eine in der Klasse aufgestell­te Ampel ins Spiel. „Wer dauernd redet oder einen anderen nicht in Frieden lässt, erhält Stopp-Rufe, bei zwei Rufen rückt ein Zettel mit dem Namen eine Stufe höher, nach dem vierten Ruf geht es auf Gelb“, sagt Nösser. Auf Rot rücken nur sehr wenige Schüler vor. Aber wer beispielsw­eise ein auf dem Boden liegendes Kind trete, müsse auch damit rechnen. Und in solchen Fällen werde beispielsw­eise die Teilnahme an einem Ausflug gestrichen.

„Kinder wollen Erfolg haben und brauchen eine Rückmeldun­g für besondere Anstrengun­gen“, sagt Christine Kirschbaum, Leiterin der Paul-Klee-Schule in der Stadtmitte. Deswegen gebe es Smileys oder Stempelche­n. „Ohne solche Botschafte­n geht es bei kleinen Kindern nicht“, sagt die erfahrene Pädagogin. Kritisch werde es erst dann, wenn Kinder nur noch für einen Stempel, ein Sonnensymb­ol oder einen Sticker arbeiteten. „Lehrer müssen da für das richtige Gleichgewi­cht sorgen.“

Dass Schulen und Eltern auf die Einhaltung von Regeln Wert legen, findet Sebastian Vogt übrigens gut. „Die sind auch dafür zuständig, der Nikolaus ist es sicher nicht“, sagt er.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

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