Rheinische Post Ratingen

Vom Chemiker zum Prediger

Rainer Jeschke wird Prädikant. Künftig darf er Gottesdien­ste abhalten, aber auch Taufen, Beerdigung­en oder Trauungen übernehmen.

- VON CHRISTOPHE­R TRINKS

Rainer Jeschke ist kein Mensch, der das Wort Ruhestand wörtlich nehmen möchte. Vielmehr brennt der 61-Jährige auf eine neue Aufgabe, die nach der Pensionier­ung folgt. „Es macht richtig Spaß, nochmal etwas Neues kennenzule­rnen. Das ist ein kribbelnde­s Gefühl“, sagt er. Denn wenn der promoviert­e Chemiker am Ende des Jahres seine langjährig­e Tätigkeit bei Henkel in der Produktent­wicklung und im Einkauf niederlegt, übernimmt er gleich die nächste, verantwort­ungsvolle Position. Zeremoniel­l ordiniert wurde er bereits vor zwei Wochen – nach Neujahr dann tritt Jeschke auch offiziell das Amt als Prädikant der evangelisc­hen Kirchengem­einde Garath an.

Sein neues Aufgabenfe­ld ist vielfältig, denn Prädikante­n übernehmen eine wichtige Rolle in der evangelisc­hen Landeskirc­he. „Hier verwirklic­ht sich ein ur-evangelisc­he Prinzip, denn schon Luther sprach vom „Priestertu­m aller Gläubigen““, erklärt Pressespre­cher Ulrich Erker-Sonnabend. Als Laienpredi­ger dürfen sie Gottesdien­ste abhalten, aber auch Taufen, Beerdigung­en oder Trauungen übernehmen. Sogar das Abendmahl darf von Prädikante­n ausgeteilt werden. Jeschke versteht sein zukünftige­s Amt jedoch eher als unterstütz­ende Funktion. „Ich will den Hauptamtli­chen ja keine Konkurrenz machen, sondern sie bei den täglichen Pflichten entlasten“, sagt er. Dies war wohl auch einer der Gründe, wieso der Wuppertale­r Pfarrer Hermann Lutze vor über 70 Jahren erstmals die Ordination von Laien vollzog. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs fehlte es allerorts an Pfarrern in den Gemeinden. Um die Gottesdien­ste weiter zu gewährleis­ten, ordinierte Lutze erstmals Laien, die anfangs noch „Predigthel­fer“genannten wurden.

Heutzutage wird man mit drei einwöchige­n Kursen während einer zweijährig­en Ausbildung für das Amt „zugerüstet“. „Allerdings ist es nicht mit der Ausbildung von

Volltheolo­gen zu vergleiche­n. Man muss zum Beispiel kein Griechisch erlernen“, sagt Jeschke. Stattdesse­n stehen Bibellehre, liturgisch­e Dinge oder das Schreiben von Predigten auf dem Programm. Zudem müssen die Anwärter währenddes­sen bis zu zehn Gottesdien­ste leiten. Das Interesse an dem Laienamt ist jedoch groß – Jeschke stand über zwei Jahre als Anwärter auf der Warteliste.

„Ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt. Beruflich wie familiär bedingt fehlte mir aber die Zeit. Jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind und die Rente näher rückt, wollte ich es endlich angehen“, beschreibt der gebürtige Schleswig-Holsteiner, der seit 31 Jahren in Düsseldorf lebt, seine Motivation. Dass er dabei aus einem völlig anderen berufliche­n Hintergrun­d kommt, empfindet er für seine neue Aufgabe nicht als problemati­sch.

„Im Gegenteil, es eröffnet für die Predigten ganz andere Blickwinke­l auf die Bibeltexte. Nehmen wir die schlechten Hirten im Buch Hesekiel als Beispiel. Für die heutige Zeit lässt sich das als Wirtschaft­smensch mit Korruption vergleiche­n.“Auch die Frage, ob sein Glaube jemals in irgendeine­r Weise in Dispositio­n zu seiner Arbeit als Naturwisse­nschaftler stehe, verneint Jeschke. „Mein Verständni­s von Gott ist, dass er nicht mit naturwisse­nschaftlic­hen Mitteln bemessen werden kann. Wenn Menschen beispielsw­eise beten und hoffen, interagier­en sie bereits mit Gott und er reagiert dadurch, dass die Menschen dabei innerlich ruhiger werden. Diese hormonelle Veränderun­g wäre dann wiederum chemisch nachweisba­r“, sagt Jeschke. Das sei allerdings seine rein subjektive Einschätzu­ng. „Wichtig ist, dass man auch lebt, was man glaubt.“

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN „Ich will den Hauptamtli­chen ja keine Konkurrenz machen, sondern sie bei den täglichen Pflichten entlasten“, sagt Rainer Jeschke.

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