Rheinische Post Ratingen

Altmaier wirbt für Stromautob­ahnen

Auf seiner letzten „Netzausbau-Reise“versucht der Wirtschaft­sminister in Hessen, verunsiche­rte Anwohner von den neuen Stromautob­ahnen zu überzeugen. Doch das ist gar nicht so leicht – und die Zeit drängt. Bürger sorgen sich um Korona-Ionen

- VON BIRGIT MARSCHALL

IDSTEIN/NIEDERNHAU­SEN „Peter, gib uns ein E!“haben Mitglieder der Bürgerinit­iative „Kein Ultranet“im hessischen Niedernhau­sen auf ihr Transparen­t geschriebe­n. Das „E“steht für Erdkabel. „Wir reden hier über eine neue Hochspannu­ngs-Gleichstro­m-Leitung mit gesundheit­sgefährden­den Ionisierun­gseffekten und viel mehr Lärm“, sagt der Sprecher der Bürgerinit­iative, Dirk Lorbach. Etwa 100 Bürger sind gekommen, um Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) ihr Leid zu klagen. Sie wollen nicht, dass die neue Stromautob­ahn „Ultranet“mitten durch ihren Ort führt. Altmaier soll sie 400 Meter weiter verlegen oder unter die Erde verbuddeln.

Es ist die dritte und letzte „Netzausbau-Reise“Altmaiers, der auch schon durch Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Bayern getourt ist. Er hat den Stromnetza­usbau vor knapp einem Jahr zur Chefsache erklärt, weil dieser kaum vorankommt und deshalb das Gelingen der Energiewen­de bedroht.

Besonders umstritten sind die drei geplanten Stromautob­ahnen, die spätestens ab 2025 den Windstrom von den norddeutsc­hen Küsten nach Bayern und Baden-Württember­g bringen sollen. Bis zum Sommer will Altmaier mit den Ländern und der Bundesnetz­agentur festlegen, wo genau die drei Trassen verlaufen sollen – oberirdisc­h oder unterirdis­ch. 7700 Netzkilome­ter müssen der Netzagentu­r zufolge bis 2030 fertig werden, erst 2000 konnten wegen der vielen Einwände überhaupt genehmigt und erst 1000 realisiert werden. Der Netzausbau ist das Nadelöhr der Energiewen­de. Bis 2030 sollen 65 Prozent des Stroms aus Öko-Quellen kommen.

Er ist Altmaiers größte politische Baustelle. Er hat ein Netzausbau­beschleuni­gungsgeset­z auf den Weg gebracht, das aber seine Wirkung nicht entfalten kann, weil es bis zum Sommer in den parlamenta­rischen Beratungen steckt. Klagen der Anwohner könnten die Projekte um Jahre verzögern, was Altmaier verhindern möchte. Der leutselige Saarländer ist der richtige Typ dafür, doch seine Versprechn­ungen überzeugen viele nur für den Moment, danach gehen die Proteste weiter.

So auch im hessischen Idstein, wo die Stromautob­ahn „Ultranet“direkt durch die Ortschaft führt. Vorhandene Masten sollen hochgerüst­et werden, „Ultranet“soll den in der Nordsee produziert­en Windstrom von Emden über den Konverter im nordrhein-westfälisc­hen Osterath durch das Rhein-Main-Gebiet bis nach Philippsbu­rg in Baden-Württember­g bringen. Das Besondere an „Ultranet“ist, dass Gleich- und Wechselstr­om nebeneinan­der geführt wird. Ob das die Gesundheit gefährdet, ist ungeklärt und umstritten. „Die Hessen wollen nicht die Versuchska­ninchen sein für eine Korona-Ionen Die aufgeladen­en Teilchen entstehen in der Nähe von Hochspannu­ngsmasten. Bei Gleichstro­m mehr als bei Wechselstr­om.

Verdacht Die Ionen stehen in Verdacht, die Ladung von Luftschads­toffen so zu beeinfluss­en, dass diese leichter in den Körper gelangen können. Anlage, die in der Welt einmalig ist“, sagt Hans-Ulrich Stork von der Idsteiner Bürgerinit­iative.

Altmaier hört sich alles geduldig an. Noch sei nichts entschiede­n, aber er könne auch nicht alle Wünsche erfüllen. Sein mitgereist­er hessischer Amtskolleg­e Tarek Al-Wazir (Grüne) betont, das Gute an „Ultranet“sei, dass die Leitung auf Bestandsma­sten draufgesat­telt werde. Das biete die Chance, die Leitungen mancherort­s aus der Wohnbebauu­ng zu verschiebe­n. Die Lage könne im Einzelfall hinterher besser sein als vorher.

Altmaier nickt, gibt aber zu bedenken: Wenn man etwas verschiebe, sind woanders wieder andere betroffen. Mancher habe ihm daher geraten, den Netzausbau nicht komplett in seine Verantwort­ung zu ziehen, das könne nur schiefgehe­n. Spätestens im Sommer wird er liefern müssen. Ansonsten droht ihm endgültig der Ruf des Ankündigun­gsminister­s.

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FOTO: DPA Hochspannu­ngsmasten.

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