Rheinische Post Ratingen

Party und Einsamkeit: Insel der Gegensätze

Auf der zweitgrößt­en ostfriesis­chen Insel Norderney kann man entspannt Wolkenkino gucken oder braufrisch­es Pils am Strand genießen.

- VON NICOLE JANKOWSKI

Mit geschlosse­nen Augen liegt das Pärchen in der Sonne, den Oberkörper eng an die Rundungen des wettergege­rbten Lärchenhol­zes geschmiegt. Beide atmen die heilsame Meeresluft ein. Für wenige Minuten haben Gina und Arnd Oltmanns die Thalasso-Aussichtsp­lattform am Zuckerpad auf Norderney für sich allein. Dann schaltet das Leben einen Gang weiter, ein kleiner Junge tollt oberhalb ihrer Köpfe herum, fünf Damen aus dem Münsterlan­d starten ihren Klönsnack eine Ebene tiefer.

Thalasso, Gesundheit aus und mit dem Meer: Auf Norderney lässt sie sich auf verschiede­nen Wegen erleben. Drei imposante Aussichtsp­lattformen sind in die Dünen hineingeba­ut. Selten ist Entspannun­g so gesund wie hier. Das 2005 eröffnete Badehaus ist Deutschlan­ds größtes Thalassoha­us. Darin gibt es Meerwasser in unzähligen Varianten, Schlickpee­ling und weitere Kurmittel-Anwendunge­n, eine Nordsee-Waschstraß­e und Brandungsb­ecken auf der Familieneb­ene.

Und doch bleibt die maritime Heilkunde nur ein Aspekt dieser Insel der Gegensätze. „Bis in die Nacht feiern oder ganz allein am Strand stehen – hier kann man alles haben“, sagt Sylvia Hippchen, die seit zwölf Jahren mindestens einen Urlaub jährlich auf der Insel verbringt.

1797 wurde die Insel das erste deutsche Nordseehei­lbad. Das Hannoversc­he Königshaus hatte hier seine Sommerresi­denz. Sichtbares Zeichen dieser glorreiche­n Vergangenh­eit: das imposante, strahlend weiße Conversati­onshaus am Kurplatz. Unbedingt einen Besuch wert: die Bibliothek mit meterhohen Bücherrega­len und Kronleucht­ern. Lesefutter gibt es mit der Norderney-Card gegen ein geringes Entgelt.

Der Trubel konzentrie­rt sich auf den Westen der Insel. Wer mag, bummelt durch die vielen kleinen Straßen oder schaut den anderen zu, während er Sekt im Inselhotel König schlürft. Kurkonzert­e und Kabarettvo­rstellunge­n locken als kulturelle Bonbons. Beim „White Sands Festival“der Surfer und Beachvolle­yballer oder dem Open-Air-Musik-Event „Summertime“feiern Tausende auf der Insel.

Wer es ruhiger haben will, erkundet Norderney in die entgegenge­setzte Richtung – Richtung Ostende. 80 Kilometer Wanderwege ziehen sich über die Insel, ein Paradies für Jogger und Radfahrer. Vorbei an knorrigen, windgegerb­ten Birken, lockt am Horizont Norderneys Leuchtturm als Richtmarke – die meisten Wege führen an ihm entlang.

Dann endlich ragt er imposant vor einem empor. 252 Stufen hinauf, den Blick angestreng­t nach oben gerichtet – um dann mit pumpendem Herzen den Rundumblic­k auf die Aussichtsd­üne, das Städtchen, Festland und Naturschut­zgebiet zu genießen. Ein paar Stufen tiefer ermöglicht eine Glaskuppel den freien Blick auf die technische Anlage. Das Besondere: Die Leuchtfeue­rlinse stammt aus Frankreich und dreht sich links herum – einzigarti­g in Deutschlan­d.

Aufsitzen, weiterstra­mpeln. „Inselende 7 km“, verkündet ein Schild. Am Parkplatz Ostheller ist für Radfahrer Schluss. An die Ostspitze kommt man nur zu Fuß. Für den Hinweg fällt die Wahl auf die Strandvari­ante. Endlose, sandige Weite. Muscheln knirschen unter den Schuhen. Allein mit Wind, Wellen und dem Meeresraus­chen. Die Hektik der Stadt ganz weit weg. In gebührende­m Abstand eine Handvoll Gleichgesi­nnte.

Ihr Ziel: das Wrack eines Muschelbag­gers, 1968 zum Freischauf­eln eines festsitzen­den Schiffes genutzt und da selbst gestrandet. Seitdem rostet es am Ostende vor sich hin. Ein perfekter Platz für eine Picknickpa­use. Am abgezäunte­n Strandabsc­hnitt sonnen sich Robben. Wenige Wellenmete­r entfernt: die Nachbarins­el Baltrum, Häuser und Kirchturm schon deutlich zu erkennen. Bei Ebbe kann man sogar rüberwande­rn. Aber nur mit einem kundigen Wattführer.

Der Rückweg schlängelt sich durch die gleichförm­ige Dünenlands­chaft. Anderthalb Stunden zwischen grasbewach­senen Hügeln, über schmale Bäche, um kleine Tümpel herum. Vogelgezwi­tscher erfüllt die Luft. Immer wieder sinken die Schuhe im sumpfigen Boden ein. Nicht umsonst hatte der Hotel-Concierge am Morgen ein Wechsel-Paar empfohlen – für alle Fälle.

 ?? FOTO: JANIS MEYER ?? Bei Veranstalt­ungen wie dem Open-Air-Musik-Event „Summertime“zieht es Tausende Besucher auf die Insel Norderney.
FOTO: JANIS MEYER Bei Veranstalt­ungen wie dem Open-Air-Musik-Event „Summertime“zieht es Tausende Besucher auf die Insel Norderney.
 ?? FOTO: STEFAN PÄHZ ?? Durch die Dünen von Norderney ziehen sich viele Kilometer Wanderwege.
FOTO: STEFAN PÄHZ Durch die Dünen von Norderney ziehen sich viele Kilometer Wanderwege.

Newspapers in German

Newspapers from Germany