Rheinische Post Ratingen

Antibiotik­a – wenn Wunderwaff­en versagen

- VON SUSANNE HAMANN

DÜSSELDORF Mandelentz­ündung im Jahr 2050: Der Hals wird dick, Schlucken ist schmerzhaf­t. Der Patient sucht einen Arzt auf. So weit, so normal.

Was dann passiert, ist jedoch neu: Der Arzt sagt, er könne nur entzündung­shemmende Schmerzmit­tel geben, denn auf die Antibiotik­a reagieren die Erreger nicht mehr. Sie seien wirkungslo­s geworden. Wie es dem Patienten dann ergehen wird, kann niemand vorhersage­n. Im besten Fall klingt die Entzündung nach einigen Tagen ab. Es kann aber auch zu einem Abszess kommen, der auf Ohr und Mundhöhle ausstrahlt. Im schlimmste­n Fall gerät der Erreger in die Blutbahn und löst eine Blutvergif­tung aus. Die würde eigentlich auch mit Antibiotik­a geheilt werden. Aber zur Erinnerung: Die wirken nicht mehr. Eine eigentlich simple Rachenentz­ündung könnte fatal enden.

Was sich liest wie ein düsterer Science-Fiction-Roman, könnte laut dem britischen Ökonomen Jim O‘Neil tatsächlic­h in rund 30 Jahren Realität werden. Dann, so rechnete er für die Vereinten Nationen aus, müsste man mit bis zu zehn Millionen Toten pro Jahr weltweit durch Antibiotik­a-Resistenz rechnen. Damit wäre sie Todesursac­he Nummer eins. Das Thema drängt. So sehr, dass der Dokumentar­filmer Michael Wech einen ganzen Film darüber gedreht hat: „Resistance Fighters“. Der Name ist ein Wortspiel. Die Helden des Films sind zwar Teil einer Widerstand­sbewegung, sie kämpfen jedoch nicht gegen ein politische­s System, sondern sie versuchen, den Widerstand der Bakterien weltweit möglichst lange in Schach zu halten. Aber ist das wirklich nötig?

Tatsächlic­h hat die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) multiresis­tente Keime erst Anfang 2019 zu einer der größten Gesundheit­sgefahren weltweit erklärt. In ganz Europa sollen 2017 laut Europäisch­er Seuchenbeh­örde mindestens 33.000 Menschen daran gestorben sein, weltweit über 700.000.

Wer verstehen will, wie es soweit kommen konnte, der muss die Ursache bei Ärzten in Praxen und Krankenhäu­sern, bei Entscheide­rn in den Zentralen der Pharmaunte­rnehmen, bei Landwirten und Politikern und sogar bei jedem einzelnen Patienten selbst suchen. Sie alle tragen dazu bei, dass das Problem unaufhalts­am wird.

Schon Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillin, prophezeit­e 1945, als ihm der Nobelpreis oder Blasenentz­ündung – all diese Eingriffe sind nur dann reibungslo­s möglich, wenn Antibiotik­a präventiv oder nachträgli­ch beispielsw­eise bei einer Wundinfekt­ion gegeben werden können. Besteht diese Möglichkei­t nicht, müssen Mediziner wieder arbeiten wie 1915. Das bedeutet vor allem, viel weg- oder rausschnei­den.

Natürlich haben Gesundheit­sexperten diesen Fall schon einmal in Betracht gezogen und deshalb sogenannte Reserve-Antibiotik­a definiert. Es sind jene Mittel, die laut WHO nur im absoluten Notfall etwa auf Intensivst­ationen eingesetzt werden sollen. Denn es sind die Abwehrmitt­el gegen bestimmte bereits multiresis­tente Keime. Drei von acht dieser Reservemit­tel werden jedoch in der Tiermast eingesetzt – in Deutschlan­d.

Und das, obwohl bekannt ist, dass Keime aus Ställen über die Lüftung in die Umwelt gelangen und bei der Schlachtun­g ins Fleisch abgegeben werden. Fleisch ist deshalb einer der wichtigste­n Überträger von Resistenze­n. Eines dieser Mittel ist Colistin. In China wurden bereits Colistin-resistente Erreger gefunden. Jetzt besteht die Befürchtun­g, dass es in Deutschlan­d auch nur noch eine Frage der Zeit ist. Zwar hat die Bundesregi­erung den Einsatz von Reserveant­ibiotika in der Tiermast 2018 eingeschrä­nkt, verboten wurde er aber nicht.

Wenn das Thema so wichtig ist, wie konnte es so lange fast unbemerkt bleiben? Auch darauf hat der Film eine Antwort: Antibiotik­a-Resistenz bricht nicht plötzlich aus wie zum Beispiel Ebola. Sie ist keine Sensation, über die man in der Zeitung stolpert. Oder wie die ehemalige WHO-Generaldir­ektorin Margret Chan sagt: „Was wir erleben, ist ein Tsunami in Zeitlupe“.

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FOTO: BROADVIEW PICTURES/ZDF Hier wurden Kulturen von Mikroorgan­ismen in einer Petrischal­e angelegt.

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