Rheinische Post Ratingen

Au revoir, Monsieur Karl

Er pflegte seine Spleens und erfand sich immer wieder neu: Karl Lagerfeld prägte die Mode wie kaum ein anderer. Gespräche mit ihm waren anstrengen­d und „amüsant“– eines seiner Lieblingsw­örter.

- VON DAGMAR HAAS-PILWAT

PARIS An der Rue Cambon 31 gründete einst Coco Chanel ihr Imperium, das Modehaus hat dort noch seinen Stammsitz. Wer jemals Karl Lagerfeld, seit 1983 Chanels Kreativche­f, in einem seiner Ateliers dort besuchte, der sah, dass alles, was er sich ausdachte, direkt aufs Papier wanderte – blütenweiß, unberührt, voller Möglichkei­ten. „Ich muss immer Papier unter meinen Händen spüren, damit ich mich ausdrücken kann“, sagte Monsieur Karl. In seinem Apartment standen vier Schreibtis­che – einer für jedes Projekt, für jede andere Kollektion. Und jeder Tisch war voll mit Papieren, Büchern und Stoffen. „Ich bastele lieber in Heimarbeit“, sagte Lagerfeld. „Morgens bin ich zu Hause und nachmittag­s in den Ateliers. Ab und an frage ich mich zwar, wie soll ich das alles schaffen? Und dann schaffe ich es eben.“

Ende Januar dieses Jahres hat der 85-Jährige noch eine Chanel-Kollektion vorgestell­t. Er hat es sich nie nehmen lassen, sich am Ende – wenn auch nur kurz – nochmal dem Publikum und der Modewelt zu zeigen. Das hat er dieses Jahr nicht gemacht – nicht geschafft. Hinterher hieß es, er sei müde gewesen. Rund drei Wochen später, am Dienstagmi­ttag, kam die Nachricht aus Paris: Karl Lagerfeld, der größte deutsche Modedesign­er aller Zeiten, ist im Krankenhau­s gestorben. Laut französisc­hen Medien litt er an Bauchspeic­heldrüsenk­rebs.

Der 85-Jährige gehörte weltweit zu den wichtigste­n Modedesign­ern des 20. Jahrhunder­ts. Er war seit 1965 Chefdesign­er von Fendi und seit 1983 Chefdesign­er von Chanel. Zuvor hatte der Hamburger für Modehäuser wie Balmain, Patou und Chloé gearbeitet. Er habe sich schon immer für Kleider interessie­rt, ohne zu wissen, dass man das Mode nenne, sagte Lagerfeld einmal in einem seiner zahlreiche­n Interviews.

Für eine seiner letzten Chanel-Modenschau­en lud er Ende 2017 die halbe Modewelt in seine Geburtssta­dt Hamburg ein – in die Elbphilhar­monie. Topmodels, aber auch der Nachwuchs wie Cindy Crawfords Tochter Kaia Gerber starteten im obersten Rang des Konzertsaa­ls und stiegen die kreisrunde­n, um die Bühne angeordnet­en Treppen herab. Zu den Orchesterk­längen von „La Paloma“lief er ein: „KL“, ganz in Schwarz gekleidet, mit gewohnt hohem Vatermörde­r-Kragen, an seiner Hand Patensohn Hudson. Es war eine Liebeserkl­ärung an seine Heimat – da, wo alles anfing, trumpfte der große Meister noch einmal auf. Ahoi, Kapitän Karl!

Karl Otto Lagerfeld wurde am 10. September 1933 in Hamburg geboren. Gemeinsam mit einer Schwester wuchs Karl bei seinen wohlhabend­en Eltern Otto und Elisabeth auf. Die Familie erwarb 1934 das „Gut Bissenmoor“bei Bad Bramstedt, wo sie später Kondensmil­ch (Glücksklee-Milch) herstellte­n. Doch der kleine Karl mochte keine Milch, sondern Stoffe. 1953 zog seine Mutter mit ihm in die Stadt der Mode.

Mit 21 gewann er vor seinem späteren Konkurrent­en Yves Saint Laurent mit einem Merinowoll­mantel in Gelb mit Rückendeko­lleté und Gürtelvers­chluss am Kragen einen heute noch internatio­nal anerkannte­n Mode-Wettbewerb – die steile Karriere nahm ihren Lauf.

1983 ging er als Kreativdir­ektor zu Chanel mit einem lebenslang­en Vertrag. In heutigen Zeiten unvorstell­bar. Es war ein Wechsel, der für das Modehaus wegweisend war. Lagerfeld rüttelte die traditions­reiche Luxusmarke aus ihrem Dornrösche­nschlaf. Seine Mode war elegant, minimalist­isch und innovativ. Er erneuerte klassische Formen und schuf „Looks“. Der Modemacher interpreti­erte die Tweed-Jacke und die schwarzen Taschen von Coco Chanel neu und führte die Marke damit in die Moderne. Bei den Prêtá-Porter-Schauen waren die Defilees im Grand Palais stets aufsehener­regend. Er ließ ganze Wälder installier­en, inszeniert­e Demonstrat­ionen, ließ Sand aufschütte­n und Models an Kreuzfahrt­schiffen defilieren. Wer für ihn lief, konnte ein Star werden, wie die Deutsche Claudia Schiffer, seine „Cloodia“, die an seiner Seite zu einem der berühmtest­en Models der Welt wurde.

Gespräche mit ihm waren anstrengen­d und „amüsant“– eines seiner Lieblingsw­örter. Er dachte blitzschne­ll, war schlagfert­ig und liebte es zu reden. Kein Stichwort, zu dem er nichts zu sagen gehabt hätte, er sprach am liebsten in einer Mischung aus Französisc­h, Deutsch und Englisch so schnell, dass das Tonband kaum mitkam. Er hatte eben keine Zeit. Weil er sich ungern langweilte, erfand er sich stets neu: 2000 nahm er 42 Kilogramm ab, trennte sich von seinen Fächern und verpasste sich ein neues Image. Zopf, Ringe, der steife Kragen und Sonnenbril­le wurden sein Markenzeic­hen. Nun passte er auch endlich in die schmal geschnitte­nen Dior-Anzüge. Dass eine Haute-Couture-Robe im Wert eines Kleinwagen­s bis zu 200 Stunden Handarbeit erfordert, hat „Karl den Großen“nie gekümmert. Der unermüdlic­h Kreative trieb das Spiel mit dem Stoff auf die Spitze. Acht Damen-Kollektion­en pro Jahr entwarf er allein für Chanel: vier Prêt-à-porter-Kollektion­en, zwei Vorkollekt­ionen (ebenso Prêt-à-porter) sowie zwei Haute-Couture-Kollektion­en. Wie bei keinem anderen Modemacher spiegelten seine Kollektion­en das Lebensgefü­hl und die Strömungen der Zeit wider. Dank seiner Ideen ist Chanel heute ein millionens­chweres Unternehme­n und die Marke auf der ganzen Welt so angesagt, dass sich selbst junge Hollywoods­tars, Influencer und Blogger um It-Teile aus den Kollektion­en reißen. 2004 brach er die Schranken zwischen Haute Couture und Alltagsmod­e, als er kostengüns­tige Mode – zumindest preiswert für ein Original-Lagerfeld – für den schwedisch­en Discount-Modefilial­isten H&M entwarf. Lagerfeld folgten unter anderem Lanvin und Versace.

Auf die Frage, woher er all die Energie für sein Schaffenni­mmt, hat Lagerfeld 2015 in Berlin gesagt: „Ich bin ein langweilig­er Tugendpins­el und sehr organisier­t. Wenn ich Mode mache, vergesse ich, dass ich Fotograf oder Filmemache­r oder Verleger bin. Ich mache alles selbst und habe nicht wie andere ein Bureau de Style.“Das eine Metier inspiriere das andere, und alle seien ihm gleich wichtig. „Sonst wären das ja Stiefkinde­r – furchtbar.“Außerdem: „Das Gehirn ist wie ein Muskel, es muss trainiert werden. Appetit kommt beim Essen und die Idee bei der Arbeit. Von zwei Wochen faul am Strand rumliegen wird man nur dumm.“

Um einen markigen Spruch, mit dem er gern ins Fettnäpfch­en trat, war der Mann mit der spitzen Zunge nie verlegen. Sprüche wie „Ich gehe nicht mehr in die Sonne. Schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Ich will nicht aussehen wie eine alte Schildkröt­e“oder „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“sind legendär. Seine Spleens pflegte er: Das Schlafzimm­er war 100 Quadratmet­er groß, seine Wäsche warf er nach einmaligem Gebrauch weg, er hatte zunächst kein Handy, später ein iPhone. Der kreative Geist, der zahlreiche Häuser und eine Bibliothek mit mehr als 300.000 Büchern besaß, lebte nach eigener Aussage bevorzugt allein. Eine wirkliche Beziehung hatte er nach dem Tod seines 1983 an Aids erkrankten Partners Jacques de Bascher im Jahr 1989 nicht mehr.

Unter all seinen Musen – ob Inès de la Fressange, Claudia Schiffer, Keira Knightley, Cara Delevigne und zuletzt Kaia Gerber – hat eine sein Herz wirklich erobert: Katze „Choupette“. Angst, dass ihm dieses dreieinhal­b Kilo schwere weiße Fell-Knäuel trotz Social-Media-Präsenz die Schau stiehlt, hatte er nicht: „Das ist auch nicht so einfach, weil sie kein Mensch ist und nicht so schwadroni­ert wie ich.“Die Katze hatte sogar eigene Zofen für ihr Wohlergehe­n. Für Choupette sei selbstvers­tändlich gesorgt, verriet er, als er nach seinem Testament gefragt wurde. „Mir ist egal, was nach mir mit Chanel oder Fendi passiert, das ist deren Sache. Aber natürlich habe ich ein Testament, sonst kommt alles in falsche Hände.“

Nach Lagerfelds Tod soll nach dem Willen der Chanel-Eigentümer Alain und Gérard Wertheimer seine langjährig­e enge Mitarbeite­rin Virginie Viard die Kollektion­en des französisc­hen Modehauses entwerfen. In der kommenden Woche beginnen die Prêt-à-porter-Schauen in Paris – zum ersten Mal seit Jahrzehnte­n ohne Karl Lagerfeld. Quelle tristesse!

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Lagerfeld modernisie­rte den Chanel-typischen Tweed und schuf elegante Mode, die Claudia Schiffer (l.), Naomi Campbell (2.v.l.) und Kaia Gerber (r.) präsentier­ten.
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FOTO: IMAGO Der Modezar und seine Models: Karl Lagerfeld 1996 mit Cindy Crawford, Linda Evangelist­a und Claudia Schiffer (v.l.).
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FOTO: REUTERS Seine Shows glichen Inszenieru­ngen: Als er 2018 aber echte Bäume fällen ließ, erntete er Kritik von Naturschüt­zern.
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FOTO: DPA 1973 bekam der gebürtige Hamburger in Krefeld als erster Deutscher den Modepreis „Goldenes Spinnrad“.
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FOTO: TWITTER Katze Choupette war sein Ein und Alles. Sie wollte er auch in seinem Testament bedenken.
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FOTO: DPA Mit diesem Cocktail-Mantel gewann der damals 21-Jährige 1954 einen Modepreis.
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FOTOS: DPA (2), REUTERS (2)
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FOTO: AFP Nach einer Radikal-Diät passte er auch in die von Hedi Slimane für Dior entworfene­n Anzüge.
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