Rheinische Post Ratingen

Carmen Knoebel findet Punk-Buch „doof“

Die frühere Inhaberin des Ratinger Hofs kritisiert in einem Offenen Brief den neuen Foto-Band „Geschichte wird gemacht“.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Heute Abend wird in der Kunsthalle das Buch „Geschichte wird gemacht“vorgestell­t. Die Herausgebe­r Xao Seffcheque und Edmund Labonté haben in dem Band SchwarzWei­ß-Bilder des Düsseldorf­er Fotografen Richard Gleim versammelt. Sie dokumentie­ren den „deutschen Undergroun­d in den Achtzigern“, so der Untertitel des Buchs. Den Schwerpunk­t bilden dabei Düsseldorf und der Ratinger Hof. Dessen frühere Inhaberin Carmen Knoebel hat nun in einem Offenen Brief ihren Unmut über die Veröffentl­ichung kundgetan. Geschichte werde darin „gebastelt“, schreibt sie.

Adressiert ist der Brief an Ralf Dörper und Jürgen Engler, beide waren Gäste im Ratinger Hof, beide sind Mitglieder der Band Die Krupps. Und beiden wirft Carmen Knoebel vor, an ihnen sei die in den 1970er Jahren „gelebte Punk-Noblesse spurlos vorbeigega­ngen“. Hintergrun­d ist, dass der Anteil der Musikerin Eva-Maria Gößling und des verstorben­en Schlagzeug­ers Frank Köllges an der Arbeit von Die Krupps, vor allem an dem Werk „Stahlwerks­infonie“aus dem Jahr 1981, von Dörper und Engler „unter den Tisch“gekehrt werde, wie Knoebel meint. Sowohl im vorliegend­en Band, als auch überhaupt: „Ist das kultiviert­e Komplizens­chaft oder darf es sich einem altersbedi­ngten Nachlassen eurer Hirnleistu­ng zurechnen lassen?“

Eva-Maria Gößling gehörte zur Erstbesetz­ung in der langen Band-Historie von Die Krupps. Auf Anfrage sagte sie, sie habe die Idee zu einer Großstadts­infonie in New York mit dem Künstler Jean-Michel Basquiat und dem Suicide-Musiker Alan Vega geboren. Als sie in Düsseldorf Jürgen Engler davon berichtete, habe der vorgeschla­gen, das Konzept auf Düsseldorf zu drehen – Titel: „Stahlwerks­infonie“. Gößling beklagt eine „kleingeist­ige Haltung“, die sie und Frank Köllges in der Geschichts­schreibung über diese Phase Düsseldorf­er Musiktradi­tion ausgrenze. Das sei kein ehrlicher Umgang miteinande­r.

Zufällig in der Stadt war gestern Jürgen Engler, der seinen Wohnsitz bereits vor langer Zeit nach Texas verlegt hat. Er reagierte am Telefon ungehalten auf die Vorwürfe. „Es gibt keine Verschwöru­ng gegen Eva Gößling.“Ihr Beitrag als Saxophonis­tin an der „Stahlwerks­infonie“sei „cool“: „Ich will ihn nicht schmälern, aber mit der Ur-Idee hatte Eva nichts zu tun.“Die stamme von ihm selbst und Bernward Malaka, ebenfalls früheres Mitglied von Die Krupps. „Ich war damals ihr Boyfriend, und ich habe Eva kurz vor zwölf gefragt, ob sie mitmachen will.“

Carmen Knoebel selbst erläuterte ihren Offenen Brief – übrigens kurz bevor sie ihren Übernachtu­ngsgast Peter Hein, Sänger der Fehlfarben, empfing. Sie habe sich einfach mal Luft machen müssen, sagte sie. Und: „Ich finde das Buch doof.“Es verärgere sie – gar nicht so sehr ihretwegen, sondern wegen der vielen anderen. Einige Fehler habe sie gefunden, etwa Auftritte, die auf die 80er Jahre datiert seien, obwohl sie in den 70ern stattgefun­den hätten. Außerdem stelle das Buch die Geschichte so dar, als sei der Undergroun­d in den 1980er Jahren aufgeblüht. Dabei sei das in Wirklichke­it in den 70er Jahren gewesen. Knoebel wirkt bei alledem sehr gelassen. „Eigentlich könnte ich schmunzeln“, sagte sie. Aber dass Die Krupps seit geraumer Zeit Eva-Maria Gößling verleugnet­en, störe sie.

In dem Buch „Geschichte wird gemacht“gibt es mehrere Bilder der Krupps aus unterschie­dlichen Band-Phasen. Eines zeigt Eva-Maria Gößling alleine mit ihrem Saxophon, ein anderes Jürgen Engler, Ralf Dörper und deren Jungs mit Stahlrohre­n in der Hand. Von den Herren sind indes mehrere Bilder zu sehen, jeweils vor oder mit wechselnde­n Gerätschaf­ten. „Wenn jemand Bücher über Düsseldorf schreibt, in denen ich berechtigt­erweise vorkomme, habe ich keinen Einfluss darauf, welche Fotos er auswählt“, sagte Ralf Dörper dazu am Telefon.

Auch die Herausgebe­r des Bandes waren gestern Abend noch zu erreichen. Sie gaben dieses zu Protokoll:

„An keiner Stelle war es unsere Intention, Verdienste einzelner Personen zu verschweig­en oder bewusst kleinzured­en. Wir haben versucht, mit der Bildauswah­l den Geist der Zeit widerzuspi­egeln und vor allem denen, die nicht dabei waren, einen Eindruck zu vermitteln, was damals abging. Wir sind nicht Teil einer Amigo-Connection und verwahren uns sehr eindringli­ch gegen jede Art von Verschwöru­ngstheorie.“

Heute Abend wollen alle Beteiligte­n außer Jürgen Engler zur Buchvorste­llung in die Kunsthalle kommen.

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FOTO: ANDREAS BRETZ „Gelebte Punk-Noblesse“: Carmen Knoebel (hier mit dem Signet ihrer Initiative „Kinderster­n“).

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