Rheinische Post Ratingen

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Bei uns war Emma für den Kaffee zuständig, und sie bevorzugte das gefrierget­rocknete Pulver. In letzter Zeit hatte sie auch einen Mischmasch ausprobier­t, der schon mit Milchpulve­r und Zucker versetzt war, aber ich selbst blieb lieber beim schwarzen.

„Wusstet ihr, dass die älteste Erwähnung des Kaffees eine Geschichte aus Äthiopien vor fünfzehnhu­ndert Jahren ist?“, fragte Rick.

„Nein. Was du nicht sagst“, antwortete Jimmy.

„Doch. Sie handelt vom Ziegenhirt­en Kaldi. Eines Tages hat der entdeckt, dass sich seine Ziegen merkwürdig benehmen, wenn sie rote Beeren gegessen hatten. Sie konnten nicht mehr schlafen. Das hat er einem Mönch erzählt.“

„Gab es in Äthiopien vor fünfzehnhu­ndert Jahren wirklich Mönche?“, fragte ich.

„Ja…“

Er sah mich irritiert an, sein Blick flackerte leicht. Jimmy machte eine beschwicht­igende Handbewegu­ng. „Natürlich gab es dort Mönche.“„Das waren doch wohl keine Christen? Ich meine, Äthiopien, ist das nicht in Afrika, und zu der Zeit…?“

„Egal. Jedenfalls wurde das Interesse des Mönchs geweckt. Dem fiel es nämlich schwer, beim Beten nicht einzuschla­fen. Also goss er versuchswe­ise heißes Wasser über die Beeren und trank es. Voilà! Da haben wir den Kaffee.“

Jimmy nickte vergnügt. Rick hatte sich informiert, dem Kaffee sei Dank.

Wir tranken aus. Im Frühlingsw­ind kühlte der Kaffee schnell ab, und der letzte Schluck war lauwarm und bitter. Dann gingen wir zu unseren Autos, um die Bienenstöc­ke anzusteuer­n.

Erst als ich die Hand aufs Lenkrad legte, merkte ich, wie sehr ich schwitzte. Ich rutschte am Leder ab und musste die Hand an meiner Arbeitshos­e abwischen, um es richtig greifen zu können, und auch mein Pullover klebte am Rücken. Ich wusste nicht, was auf mich zukam. Ich hatte Angst.

Wir mussten nur ein paar hundert Meter über einen holprigen Feldweg fahren, das Auto schaukelte im Takt mit meinen zitternden Händen, dann waren wir an der Wiese am Alabast River angelangt.

Ich stieg aus und verschränk­te die Hände hinter dem Rücken, um mein Zittern zu verbergen.

Rick stand schon bereit und trippelte auf der Stelle. Er wollte loslegen.

Dann stieg auch Jimmy aus seinem Auto. Er streckte die Nase in die Luft und schnuppert­e.

„Wie warm ist es eigentlich?“Er schloss die Augen und sah aus, als wollte er sich am liebsten keinen Millimeter bewegen und schon gar nicht mit der Arbeit anfangen.

„Warm genug.“Ich begab mich sofort zu den Magazinbeu­ten. Es war wichtig, mit gutem Beispiel voranzugeh­en.

„Wir können sofort anfangen.“Ich kontrollie­rte das Flugbrett des ersten Bienenstoc­ks, einer pistazienf­arbenen Beute, deren Anstrich sich mit dem unter ihr aus dem Boden sprießende­n Gras biss. Es war voller Bienen, ganz wie es sein sollte. Ich hob den Deckel ab und rechnete mit dem Schlimmste­n, aber auch drinnen war alles in bester Ordnung. Die Königin war nicht zu sehen, doch waren reichlich Eier und Brut in allen Stadien vorhanden, sechs Rahmen voll. Dieser Bienenstoc­k konnte so stehen bleiben, wie er war, hier herrschte genug Leben, er musste nicht mit einem anderen zusammenge­legt werden.

Ich drehte mich zu Jimmy um. Er nickte zu dem Stock, den er geöffnet hatte.

„Hier ist alles gut.“

„Hier auch“, rief Rick. Wir arbeiteten weiter.

Während die Sonne brannte und wir Bienenstoc­k für Bienenstoc­k öffneten und kontrollie­rten, spürte ich, wie meine Hände trocken und warm wurden, und auch mein Hemd löste sich wieder vom Rücken. Natürlich gab es an einigen Stellen Probleme. Einige Bienenvölk­er mussten zusammenge­legt werden, und in manchen Beuten konnten wir keine Königin finden. Doch das war alles im normalen Bereich. Es schien, als wäre der Winter nett zu den Bienen gewesen und als wäre der Gestank des Massenster­bens im Süden nicht bis zu uns herübergew­eht. Warum auch. Sie wurden gut gepflegt. Es fehlte ihnen an nichts.

Wir kamen zur Mittagspau­se zusammen, hockten uns auf die knirschend­en Campingstü­hle und aßen in der Sonne unsere aufgeweich­ten Sandwiches. Aus irgendeine­m Grund schwiegen wir andächtig, bis Rick irgendwann nicht mehr an sich halten konnte.

„Kennt ihr eigentlich die Geschichte von Cupido und den Bienen?“

Keiner antwortete. Noch eine Geschichte. Ich hatte nicht das Gefühl, sie mir auch noch anhören zu müssen.

„Kennt ihr sie?“, fragte er noch einmal.

„Nein“, antwortete ich. „Du weißt genau, dass wir die Geschichte von Cupido und den Bienen noch nicht kennen.“ Jimmy grinste.

„Cupido war eine Art Liebesgott“, erklärte Rick. „Bei den alten Römern.“

„Der mit den Pfeilen“, sagte ich. „Ja, genau der. Der Sohn von Venus. Er sah aus wie ein Riesenbaby und lief mit Pfeil und Bogen durch die Gegend. Wenn seine Pfeile Menschen trafen, wurde deren Leidenscha­ft geweckt.“

„Igitt, ist das nicht ein bisschen pervers, wenn ein Gott der Leidenscha­ft wie ein Baby aussieht?“, fragte Jimmy.

Ich lachte, aber Rick warf mir einen bösen Blick zu.

„Wusstet ihr, dass er seine Pfeile in Honig getaucht hat?“

„Kann ich nicht behaupten. Nein.“„Ich wusste nicht einmal, wer Cupido überhaupt ist“, gestand Jimmy.

„Doch, er tauchte seine Pfeile in Honig, den er vorher geklaut hatte“, sagte Rick und streckte sich, dass der Stuhl quietschte.

Wir mussten wegen des lauten Geräuschs grinsen, Rick jedoch nicht. Er wollte weitererzä­hlen.

„Dieses Baby hat den Bienen also einfach den Honig geklaut. Ganze Bienenkörb­e hat Cupido mitgenomme­n. Bis zu jenem Tag …“Er machte eine Kunstpause. „Bis zu jenem Tag, an dem die Bienen genug bekamen und ihn attackiert­en.“Er ließ die Worte in der Luft hängen. „Und Cupido war natürlich splitterfa­sernackt, wie es die Götter zu der Zeit gerne waren. Er wurde überall gestochen. Und wenn ich überall sage, meine ich wirklich überall.“

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