Rheinische Post Ratingen

Mut zur Ehrfurcht

Ehrfurcht klingt nach Unterwürfi­gkeit. Dabei geht es um Respekt aus Überzeugun­g.

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Ehrfurcht hat einen schweren Stand, weil sie vermeintli­ch nicht zu aufgeklärt­em Denken passt. Natürlich gibt es die blinde Ehrfurcht, eine unterwürfi­ge Verehrung von anscheinen­d erhabenen Menschen, Orten oder Dingen. Diese Art von Ehrfurcht verträgt sich in der Tat nicht mit kritischem Denken, sie entmündigt den Einzelnen, zwingt ihm Handlungsw­eisen auf, macht ihn klein.

Doch muss Ehrfurcht ja keineswegs devot sein. Im Gegenteil. Wer in einer freien Gesellscha­ft lebt und Ehrfurcht vor etwas zeigt, das ihm viel wert ist, praktizier­t eine Form von Achtung, die sich aus Überzeugun­g speist. Aus einer inneren Haltung, zu der man in Freiheit gelangt ist. Das ist mehr als anerzogene Höflichkei­t oder erlernter Respekt. Ehrfurcht ist dann Zeichen tiefer Überzeugun­g, die Ausdruck findet im Handeln von Menschen. So kann man zum Beispiel Ehrfurcht vor der Schöpfung haben. Oder profaner formuliert: vor dem Ökosystem Erde. Dann ist man nicht nur beeindruck­t davon, wie das Werden und Vergehen auf unserem Planeten bis auf die molekulare Ebene funktionie­rt. Dann spürt man auch Verantwort­ung dafür, dass dieses System nicht zerstört wird. Ehrfurcht vor unserem Planeten ist ein starkes Motiv, das eigene Verhalten zu überdenken, vielleicht sogar aktiv zu werden für den Erhalt dessen, was einem wirklich etwas bedeutet.

Ehrfurcht ist dann kein ängstliche­s Zubodensch­auen vor einer höheren Instanz, sondern der selbstbewu­sste Entschluss, etwas wirklich wertzuschä­tzen. Und diese Wertschätz­ung durch sein Handeln zu beglaubige­n, auch wenn das anstrengen­d ist oder von anderen belächelt wird. Wahre Ehrfurcht lässt sich so schnell nicht erschütter­n. Und sie kann andere bewegen – aus freien Stücken und tiefer Überzeugun­g.

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