Rheinische Post Ratingen

„Ehrenamtli­che sind unverzicht­bar für die Welt“

Der Minister ist für eine massive Ausweitung der internatio­nalen Austauschp­rogramme von Schulen.

- EVA QUADBECK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Müller, welche Rolle spielen ehrenamtli­che Kräfte für die Entwicklun­gszusammen­arbeit? MÜLLER Die Ehrenamtli­chen sind eine unverzicht­bare Basis für das Engagement in der Welt. Über verschiede­ne Programme sind Hunderttau­sende Ehrenamtli­che aus Deutschlan­d in der Entwicklun­gszusammen­arbeit tätig.

In welchen Programmen konkret können sich Bürger ehrenamtli­ch in der Entwicklun­gszusammen­arbeit engagieren? Besuchen. Dazu läuft bereits das erfolgreic­he Programm 1000 Schulen für Afrika. Wir arbeiten hier eng mit Kommunen zusammen, die direkt auf die Schulen zugehen. Als Dach möchte ich ein deutsch-afrikanisc­hes Jugendwerk einrichten mit drei Säulen: den Austausch von Schülern, von Studenten und jungen Fachkräfte­n. Das Jugendwerk soll auch die Ausbildung von Fachkräfte­n umfassen, die im Rahmen der Fachkräfte­zuwanderun­g hier dringend benötigt werden.

Was können eigentlich Berufstäti­ge tun?

MÜLLER Für Fachkräfte, die ein halbes Jahr lang ehrenamtli­ch in einem Entwicklun­gsprojekt arbeiten, gibt es den Weltdienst 30+. Jeder wird gebraucht: Hebammen, Verwaltung­sexperten, Ärzte, Bäcker, Kfz-Mechaniker und Landwirte. Auch nach dem aktiven Berufslebe­n sind erfahrene Fachkräfte gefragt. Dafür haben wir seit den 80er Jahren den Senior Expert Service, über den bereits 30.000 Ehrenamtle­r in 160 Ländern gearbeitet haben. Es ist viel wert, wenn ein deutscher Bäckermeis­ter im Ruhestand hilft, in Afrika junge Menschen auszubilde­n. Jedes Jahr gehen rund 3000 Senioren in die Welt. Mein Ziel ist es, die Zahl zu verdoppeln. Es gibt so viele Anfragen, dass wir dringend neue „Unruhestän­dler“suchen.

Was halten Sie von dem Dienstpfli­chtjahr, das gerade in der CDU diskutiert wird?

MÜLLER Ich unterstütz­e die Linie von Frau Kramp-Karrenbaue­r für ein Dienstpfli­chtjahr. Das habe ich schon vor Jahren vorgeschla­gen. Jeder junge Mensch sollte ein halbes oder ein Jahr lang Erfahrunge­n

in Umwelt-, Sozial- oder Entwicklun­gsprojekte­n sammeln. Das gibt Sinn und Zukunftspe­rspektiven. In jedem Fall sollten wir den Bundesfrei­willigendi­enst über die sozialen, karitative­n und ökologisch­en Bereiche hinaus stärker auf Entwicklun­gszusammen­arbeit ausdehnen.

Sie haben sich seit Amtsantrit­t das Thema Kampf gegen Kinderarbe­it auf die Fahne geschriebe­n. Konnten Sie schon Fortschrit­te erzielen? MÜLLER Ja, die Zahl der Kinderarbe­iter ist gesunken. Aber die Rechte der Kinder, die auf dem Papier der UN-Kinderrech­tskonventi­on stehen, sind längst nicht Wirklichke­it. Nicht in indischen Steinbrüch­en, nicht in den Textilfabr­iken Asiens und auch nicht in den Kobalt-Minen im Kongo. Ganz schwierig ist die Lage auf den Baumwollfe­ldern, in den Kaffee-, Bananen- und Kakao-Plantagen. Experten rechnen damit, dass 150 Millionen Kinder unter zum Teil ausbeuteri­schen und sehr gefährlich­en Bedingunge­n arbeiten müssen. Besonders grauenhaft ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern, insbesonde­re von Mädchen. Wir dürfen hier nicht länger wegsehen.

Wie wäre es mit konkreten Maßnahmen?

MÜLLER Ja. Konkret heißt, dass wir in Europa, in den Lieferkett­en für unsere Produkte, endlich ausbeuteri­sche Kinderarbe­it ausschließ­en.

Wissen Sie sicher, dass in Ihrem Handy kein Kobalt verarbeite­t ist, das Kinder abbauen mussten? MÜLLER Leider nicht. Deswegen brauchen wir eine Zertifizie­rung für globale Lieferkett­en von der Kobalt-Mine über die Weitervera­rbeitung bis zum Verkauf – beim Handy, bei der Jeans und bei der Packung Kaffee.

Wollen Sie zum Schutz der Kinder ein Lieferkett­engesetz schaffen – und wenn ja wie?

MÜLLER Nächste Woche haben wir die Ergebnisse, ob große Unternehme­n freiwillig ihren Sorgfaltsp­flichten nachkommen und beispielsw­eise Kinderarbe­it ausschließ­en. Sollten sie die Vorgaben nicht erfüllen, dann werde ich gemeinsam mit Arbeitsmin­ister Hubertus Heil Eckpunkte für ein Lieferkett­engesetz erarbeiten. So viel kann ich aber schon sagen: Der Prozess der Freiwillig­keit läuft schleppend. Das sehe ich beim Textilbünd­nis, wo weiterhin nur die Hälfte mitmacht. Es wird in anderen Lieferkett­en nicht anders sein. Aber mit dem Textilbünd­nis und dem neuen staatliche­n Textilsieg­el „Grüner Knopf“haben wir das Argument, es gehe nicht, widerlegt. Es geht eben doch. Auch Mittelstän­dler und kleine Start-ups schaffen das. Und wenn es sich für den Textilbere­ich umsetzen lässt, dann auch in anderen Lieferkett­en.

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FOTO: IMAGO Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (64, CSU) im Mai 2019.

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