Rheinische Post Ratingen

Sensation beim Turner-Preis

Vier bildende Künstler schlossen sich zusammen und wurden gemeinsam geehrt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

MARGATE Aus England kommen doch noch gute Nachrichte­n, die von der Verleihung des Turner-Preises etwa. Vier Künstler waren im Rennen um die renommiert­e Auszeichnu­ng, und weil sie fanden, dass das nicht die Zeit ist für noch mehr Konkurrenz, Zwiespalt und Argwohn, meldeten sie sich vor der Vergabe bei der Jury. Wir tun uns zusammen, sagten sie, und wenn der mit 40.000 Pfund dotierte Preis vergeben wird, dann bitte nur an alle Vier. „Im Namen von Gemeinscha­ftlichkeit, Vielfalt und Solidaritä­t.“

Der Turner-Preis ist nicht nur die tollste und coolste Auszeichnu­ng, die man als Künstler bekommen kann. Er ist auch so etwas wie ein Seismograp­h der Gegenwart. Aktuellste Kunst wird gewürdigt, die Debatten der Gegenwart werden in den Fokus gerückt. Der Turner-Preis hat gesellscha­ftliches Gewicht. Helen Cammock (49), Oscar Murillo (33), Lawrence Abu Hamdan (34) und Tai Shani (43) verfolgen in ihren Werken unterschie­dliche Ansätze, sie stammen aus verschiede­nen Kulturen, aber sie sind nun eine selbstbewu­sste Gang, und das ist ein Zeichen und – im Zusammenha­ng eines solchen stets durchchore­ografierte­n Abends – eine Sensation.

Die Künstler sprengen das System mit der Kraft der Togetherne­ss, sie zeigen, dass es subjektive­r und also willkürlic­her Quatsch ist, eine oder einen herauszupi­cken und die Ehrung zuteil werden zu lassen. Sie beweisen, dass man über Differenze­n hinweg zusammenko­mmen kann und dass Vielfalt ein Mittel ist, den Augenblick zu potenziere­n. Großartig ist auch das Feingefühl der Jury, die auf diese Sache einging: Sie sprach tatsächlic­h dem Kollektiv den Preis zu.

Helen Cammock sagte in ihrer Ansprache, man habe mit der Aktion

auch den Begriff dessen erweitern wollen, was als britisch gelte. Menschen mit Migrations­hintergrun­d würden immer stärker ausgegrenz­t. Und mit Blick auf die anstehende Wahl in England forderte sie, man möge zusammenst­ehen – „in der Kunst wie in der Gesellscha­ft“.

Als Favorit hatte zuvor Lawrence Abu Hamdan gegolten. Er hat Menschen, die in syrischer Haft gesessen haben, um ihre akustische­n Erinnerung­en gebeten. Wie klingt Unfreiheit? Indem nicht bloß er, sondern alle geehrt wurden, wandelte sich die Verleihung selbst zum Kunstwerk, zur Performanc­e.

Great, Britain!

 ?? FOTO: AP ?? Sie gewannen den Turner-Preis: Tai Shani, Lawrence Abu Hamdan, Helen Cammock und Oscar Murillo.
FOTO: AP Sie gewannen den Turner-Preis: Tai Shani, Lawrence Abu Hamdan, Helen Cammock und Oscar Murillo.

Newspapers in German

Newspapers from Germany