Auf ein Bier und einen Bellini mit Villazón
Der Vollständigkeit halber müsste man sagen, dass das Motto des Abends („Auf einen Bellini mit Villazón“) nicht zu 100 Prozent aufgeht. Erst räumt Dramaturgin Anna Melcher ein, dass der gleichnamige Drink gar nicht nach dem Komponisten Vincenzo Bellini benannt wurde, dessen Oper „I puritani“der mexikanische Star-Tenor Rolando Villazón gerade für die Deutsche Oper am Rhein inszeniert. (Was der Anlass für diesen Abend ist.) Sondern nach einem venezianischen Maler. (Was an sich natürlich egal ist.) Und dann stellt sich heraus, dass der Star ihn nicht mal besonders mag: den Cocktail des Abends, der aus Prosecco und Pfirsich gemixt wird. Zu Beginn stößt er lieber mit Bier an, später schüttelt er den Kopf, als ihm ein Bellini angeboten wird. Als ihm versichert wird, der sei nur fürs Foto, ist er einverstanden, nicht ohne zu raunen, wenn schon ein Cocktail, dann wäre ihm ein Dirty Martini lieber.
Nichts davon kratzt an der Stimmung, denn Villazon sprüht geradezu vor Enthusiasmus. Er stellt in der Bar Sir Walter, gleich gegenüber vom Opernhaus, seine Inszenierung vor, die am 18. Dezember Premiere hat (Tickets gibt es noch ein paar). Auf jede Frage feuert er eine minutenlange Antwort ab – zum Beispiel nach seiner Inspiration
für sein künstlerisches Schaffen: Die bekomme er von den Menschen, mit denen er Kontakt habe, aber auch durch Musik, aus Büchern, „ich versuche, ein Buch pro Woche zu lesen, am liebsten würde ich 100.000 Bücher lesen, aber man hat nur ein Leben“, aus Ausstellungen, Theaterstücken, dem Ballett. Und, im aktuellen
Fall, durch sein „fantastisches Ensemble“an der Rheinoper.
Er freilich sagt „fantastic cast“, weil er ständig zwischen den vielen Sprachen wechselt, die er spricht, fünf sollen es mindestens sein. Sein Deutsch ist hervorragend, doch zwischendrin schwärmt er von den „Figuras“(Statisten), die ihm so wichtig sind, und redet über die „Challenge“, die die Inszenierung für ihn war, was auch an den inhaltlichen Schwächen der Belcanto-Oper liege. „Einer kommt an und hat ein Schwert und sagt: Wir müssen jetzt kämpfen, aber erst singen wir ein bisschen. Dann sagt der andere: Nachdem du das gesagt hast, müssen wir wirklich kämpfen, aber du hast gesungen, also singe ich auch“, Villazon spielt die Szene vor, seine Zuschauer lachen.
Der Mexikaner ist einer, dem alles gegeben zu sein scheint, die Stimme, die vielseitige künstlerische Begabung, die schier endlose Energie, das Charisma – und natürlich die dichten schwarzen Locken,
die so gut zu seinem temperamentvollen Wesen passen.
Als Tenor hatte er wohl die größten Triumphe im grandiosen Jahr 2005, in dem er neben Anna Netrebko erst in „L‘elisir d‘amore“in Wien glänzte, später in „La Traviata“in Salzburg, doch in den Folgejahren plagten ihn gesundheitliche Probleme, 2009 wurde schließlich eine Zyste an seinen Stimmbändern entfernt. Seither begeistert er zwar weiter als Sänger, hat aber längst sein Schaffen deutlich erweitert, ist Moderator, Künstlerischer Leiter der Mozartwoche, ernst genommener Buchautor und eben auch Regisseur, nun zum zweiten Mal nach 2017 (damals gab es Jubelstürme für „Don Pasquale“) auch für die Rheinoper.
Im Juni sang er prompt bei deren Gala, nächstes Mal wird er moderieren, und im Mai 2020 singt er in der Tonhalle „L‘Orfeo“. Der Villazón ist inzwischen geschätzter Dauergast in Düsseldorf, das er trotzdem noch nicht richtig kennengelernt hat: „Wenn ich inszeniere, dann arbeite ich 15 Stunden am Tag.“Dazu gehört auch dieser Abend: Als die Sänger Ioan Hotea und Bogdan Talos eine Kostprobe der Oper geben, lauscht er kritisch-bedächtig, zieht die Augenbrauen hoch, grinst dann wieder breit. Und fällt am Ende in den Jubel der Zuhörer begeistert ein.
Nicole Lange