Mehr als 100.000 Kurzarbeiter in NRW
Das Land steht still. Die Flughäfen, viele Hotels und Restaurants, Eurowings oder die Messe Köln bereiten darum Kurzarbeit vor. Manche Firmen wie Ford und der Airport Düsseldorf stocken das magere Kurzarbeitergeld auf.
DÜSSELDORF Die Corona-Krise führt zu einer Welle an Kurzarbeit in NRW. Dies ergibt eine Umfrage unserer Redaktion. Insgesamt werden wohl in wenigen Wochen in NRW weit mehr als 100.000 Menschen ganz oder teilweise in Kurzarbeit sein.
Aus der Reisebranche in NRW sind der Flughafen Düsseldorf (2300 Mitarbeiter), der Airport Köln-Bonn (1800), der Veranstalter Alltours (450 Beschäftigte), die Airline Eurowings (mehr als 5000 Beschäftigte) sowie der an den Flughäfen Düsseldorf und Köln-Bonn tätige Sicherheitsdienst Kötter (1700 Beschäftigte) dabei, Kurzarbeit zu beantragen. Hinzu kommen Hunderte Reisebüros und viele kleine Veranstalter.
Bei Ford Deutschland mit dem Hauptwerk in Köln werden mehr als 10.000 Kurzarbeiter gemeldet, Dutzende Autozulieferer leiden unter den Produktionsstopps der Autokonzerne, allein bei der Kirchhoff-Gruppe arbeiten mehr als 650 Beschäftigte nur noch zeitweise. Das
Düsseldorfer Sprinter-Werk von Mercedes baut Überstunden ab, Kurzarbeit bei den mehreren Tausend Beschäftigten könnte folgen. Und selbst Miele in Gütersloh will Kurzarbeit in mehreren Werken beantragen: Weil der Einzelhandel zum großen Teil geschlossen ist, könnten Waschmaschinen nicht mehr verkauft werden.
Die Messe in Köln prüft ebenfalls Kurzarbeit. Bei der Messe Düsseldorf wird dies verneint, doch die Beschäftigten gehen Ostern zwei Wochen in verordnete Werksferien. Besonders hart trifft es die mehr als 183.000 Beschäftigen in den NRW-Hotels und Gaststätten. „Da wird es flächendeckend Kurzarbeit geben. Was sollen die Betriebe angesichts geschlossener Betriebe auch machen?“, fragte Thorsten Hellwig, Sprecher des Branchenverbandes Dehoga in NRW.
Die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof antwortete zwar nicht auf die Umfrage, aber Kurzarbeit erscheint hier wegen der Filialschließungen unvermeidlich. Die Bahn schließt Kurzarbeit nicht aus, Schalke 04 prüft sie. Selbst die Telekom hält weniger Arbeit für denkbar.
Bayer, Evonik, Henkel und Lanxess erklären wie Eon, RWE und Vodafone, keine Kurzarbeit zu planen. Allerdings schließen Experten nicht aus, dass es in den oft von fremden Firmen betriebenen Kantinen zu Kürzungen kommt. Michael Vassiliadis, Chef der IG BCE, glaubt, dass die Zahl der Kurzarbeiter in der Chemie sehr schnell in die Höhe gehen könnte. Beim Autobau passiert das bereits: Volkswagen will nun bundesweit 80.000 Beschäftigte wegen des Arbeitsausfalls durch die Coronakrise in Kurzarbeit schicken.
Laut NRW-Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Torsten Withake, mobilisiert die Behörde bereits alle Kräfte: „Wir ziehen gerade aus allen Bereichen unsere Mannschaft zusammen – aus dem Vermittlungsgeschäft oder der Berufsberatung, aber auch aus der Regionaldirektion –, die sich nun vordringlich mit der Kurzarbeit beschäftigten.“Allein in der vergangenen Woche habe der Anstieg bei den Kurzarbeitsanzeigen in NRW 13.000 betragen. Die BA gleicht das wegfallende Einkommen bis auf 60 Prozent des Nettolohns aus, bei
Beschäftigten mit Kindern liegt der Zuschuss bei 67 Prozent. Fielmann stockt in den Filialen diesen Betrag auf 100 Prozent des Nettolohns auf, der Flughafen Düsseldorf geht bei bisher 1600 Mitarbeitern auf 90 Prozent, Ford auf 80 Prozent, doch gerade bei kleinen Firmen gibt es Arbeitgeberzuschüsse oft nicht. Ein Grund: Die Arbeitgeber müssen Sozialversicherungsbeiträge für den Lohn-Anteil bezahlen, der 80 Prozent überschreitet.
Grünen-Sozialpolitikerin Beate Müller-Gemmeke fordert den Bund auf, die Aufstockung der Gehälter zu finanzieren. „Von 60 oder 67 Prozent des Nettolohns können Niedrigverdiener nicht leben. Deshalb fordere ich den Bund auf, das Kurzarbeitergeld für Geringverdiener auf 80 bis 90 Prozent aufzustocken“, sagt sie. „Das sollten wir nach dem Vorbild Österreichs machen. Dort gelten nach Gehältern gestaffelte Prozentsätze für das Kurzarbeitergeld: Wer wenig verdient, erhält vom Staat 90 Prozent Kurzarbeitergeld. Und wer mehr verdient, bekommt eben ein bisschen weniger.“