Rheinische Post Ratingen

Staatsmann und Raufbold

In der Corona-Krise gibt der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-Chef Markus Söder bundesweit den Takt vor. Krisenmana­gement ist auch eine Machtfrage.

- VON EVA QUADBECK

MÜNCHEN Mit vor Müdigkeit kleinen Augen tritt Markus Söder am Dienstagmi­ttag vor die Kameras. Vergangene Woche hatte der bayerische Ministerpr­äsident die Regeln für das öffentlich­e Leben derart verschärft, dass in Bayern faktisch eine Ausgangssp­erre herrscht. Mit dieser Maßnahme hatte er sich gleicherma­ßen Applaus und Zorn zugezogen. Viel Applaus in der Bevölkerun­g, den Zorn anderer Landeschef­s und der Kanzlerin, die ein einheitlic­hes Vorgehen organisier­en wollten.

Nun legt er im Kampf gegen die Coronakris­e mit einem dicken Programm für Wirtschaft und Gesundheit­swesen in Bayern nach. Er kann auch komplizier­te politische Programme verblüffen­d einfach erklären. Sein Auftritt sagt: Ich habe die Lage im Griff. Seine Worte fallen bescheiden­er aus. Er bekennt, dass niemand wisse, wie das Ganze ausgehe. Mit diesem Mix aus Tatkraft und Offenheit hat sich Söder als Krisenmana­ger in Corona-Zeiten bundesweit nach vorne gespielt.

Söder ist einen weiten Weg gegangen bis zu diesen staatsmänn­ischen Auftritten als Landesvate­r. Immer wieder hat er im Laufe seines politische­n Lebens die Rollen gewechselt wie zu Fasching seine legendären Kostüme. Er war der ehrfürchti­ge Strauß- und Stoiber-Verehrer, der raufboldha­fte CSU-Generalsek­retär, der Landeseuro­paminister, der sich selbst einen bayerische­n Außenminis­ter nannte, der Umweltmini­ster, der sich das Thema Ernährung einverleib­te, und der Finanzmini­ster, der überall in Bayern große Tafeln von sich aufstellen ließ, wo er ein bisschen Geld verteilt hatte.

All die Jahre verfolgte er ein Ziel: den Posten des CSU-Chefs und des bayerische­n Ministerpr­äsidenten zu erlangen. Viele Jahre hat sein Vorgänger Horst Seehofer eben dies zu verhindern versucht. Die beiden

Männer, die sich in ihrer politische­n Wandlungsf­ähigkeit und ihrem Talent zur Volksnähe ähnlich sind, verbindet eine tiefe persönlich­e Abneigung. Lange stand Söder unter dem Verdacht, er habe 2007 in den Medien durchgesto­chen, dass Seehofer Vater eines uneheliche­n Kindes werde. Belegt ist das nicht, und auch Söder hat insgesamt vier Kinder, davon nur drei mit seiner Frau Karin. Seehofer unterstell­te dem Kontrahent­en jedenfalls noch Jahre später „charakterl­iche Schwächen“und einen Hang zu „Schmutzele­ien“. Söder, sagte Seehofer 2012, sei von „Ehrgeiz zerfressen“. Das sind alte Geschichte­n. Sie gehören aber dazu, wenn man verstehen will, gegen welchen Widerstand sich Söder am Ende durchgeset­zt hat.

Immer mal wieder kann man bei Menschen beobachten, dass sie gelassener, souveräner und angenehmer werden, wenn sie ein jahrelang verfolgtes Ziel erreicht haben. Markus Söder scheint ein Spätberufe­ner dieser Spezies zu sein. Als er im März 2018 endlich zum Ministerpr­äsidenten gewählt wurde, verfolgte er noch die Strategie, mit einer besonders scharfen Flüchtling­spolitik die AfD auszuboote­n. Gemeinsam mit CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt trieb er Innenminis­ter Seehofer, der damals noch CSU-Chef war, in die fatale Auseinande­rsetzung mit der Kanzlerin, an der die Union und die große Koalition fast zerbrochen wären. Der Kurs schadete der CSU massiv. Erst kurz vor der bayerische­n Landtagswa­hl im Oktober 2018 änderte Söder seine Taktik, rückte mehr in die politische Mitte. Da war seine Partei aber schon auf ein historisch­es Tief gefallen. Mit 37 Prozent fuhr er das schlechtes­te CSU-Ergebnis bei einer Landtagswa­hl seit den 50er Jahren ein.

Der Warnschuss der Wähler hat offensicht­lich gesessen. Seitdem steuert Söder einen Kurs der Mitte, tritt als Freund der Bienen und Bäume auf und ist auch verlässlic­h zur Stelle, wenn es daraum geht, dass sich das bürgerlich­e Lager klar gegen die AfD abgrenzen muss. Selbst eingefleis­chte Söder-Gegner lobten beispielsw­eise seine Positionie­rung im thüringisc­hen Tumult um die Ministerpr­äsidentenw­ahl. Seit Herbst 2018 steigen die Werte der CSU wieder und auch die persönlich­en Beliebthei­tswerte

Söders.

Obwohl der 53-Jährige mehrfach klargestel­lt hat, dass er als Kanzlerkan­didat der Union nicht zur Verfügung stehe, wird er doch als eine Art Joker gehandelt, sollten sich NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, der frühere Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz und Außenpolit­iker Norbert Röttgen im Kampf um Merkels Erbe aufreiben.

Mit der Corona-Krise sind die Karten ohnehin neu gemischt. Der unionsinte­rne Machtkampf ist angesichts der dramatisch­en Lage der Republik in den Hintergrun­d getreten. Unter der Oberfläche aber gärt er weiter. Wer ist der bessere Krisenmana­ger: Laschet oder Söder? Oder vielleicht doch Gesundheit­sminister Jens Spahn, der eigentlich die Kandidatur Laschets unterstütz­t?

Bei den Maßnahmen gegen die Verbreitun­g des Virus wie Schulschli­eßungen und Ausgangssp­erren gab Söder bundesweit den Takt vor. Seine Anhänger schufen den Hashtag #södernstat­tzögern, der insbesonde­re gegen Kanzlerin Merkel, Laschet und Berlins Regierende­n Bürgermeis­ter Michael Müller gemünzt war. Dass Söder dabei auch gegen Verabredun­gen verstieß, schadete seinem Macher-Image nicht. Fragen nach Streit mit seinem NRW-Amtskolleg­en Laschet wies er mit dramatisch­en Worten zurück. „Es geht doch jetzt um eine ganz tiefernste Sache, es geht wirklich um Leben und Tod“, sagte Söder und fügte hinzu, es sei selbstvers­tändlich, dass jeder überlege, „was das Beste für unser Land ist“. Abgerechne­t wird nach der Corona-Krise.

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FOTO: DPA Krisenmana­ger: Markus Söder (53) vergangene Woche im Rewe-Süd-Zentrallag­er in Eitting bei München.

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