Rheinische Post Ratingen

Wer sich nicht an das Kontaktver­bot hält, kann sich damit sogar strafbar machen. Das ist nicht unproblema­tisch.

- VON HENNING RASCHE

DÜSSELDORF Drakonisch­e Strafen für ein völlig gewöhnlich­es Verhalten kennt man aus totalitäre­n Staaten, nicht aber aus der Bundesrepu­blik. Mit dem Bußgeldkat­alog, den die nordrhein-westfälisc­he Landesregi­erung nun erlassen hat, ändert sich das ein wenig. Denn fortan überschrei­tet die Grenze der Legalität, wer mit anderen im Park grillt. Wer nach dem Urlaub in Tirol die Oma im Seniorenhe­im besucht, macht sich sogar strafbar. Geht das so einfach? Kann ein Minister Alltagsakt­ivitäten für strafbar erklären?

Um die Dinge zu sortieren: Das Gesundheit­sministeri­um hat am Sonntag die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizie­rungen mit dem Coronaviru­s SARS-CoV-2 erlassen, kurz: Corona-Schutzvero­rdnung. Darin sind die Dinge aufgeführt, die nun als verboten gelten, also das Durchführe­n von Konzerten, das Betreiben eines Restaurant­s, Versammlun­gen im Freien und so weiter.

Das Gesundheit­sministeri­um hat dies auf Grundlage des Infektions­schutzgese­tzes getan. Nach Paragraf 32 dürfen Landesregi­erungen zur Bekämpfung übertragba­rer Krankheite­n auch Rechtsvero­rdnungen mit Geboten und Verboten erlassen. Das ist mit der Corona-Schutzvero­rdnung geschehen. Um die Gebote und Verbote wirksam durchzuset­zen, gibt es nun den Bußgeldkat­alog.

Dieser Katalog ist, wie der Düsseldorf­er Strafverte­idiger Udo Vetter sagt, ein Leitfaden. Das bedeutet, Polizei und Ordnungsam­t müssen nicht jeder Gruppe, die sie im Park erwischen, sofort ein Bußgeld

aufdrücken. Sie können, nach den Gepflogenh­eiten etwa aus dem Straßenver­kehr, zunächst eine Verwarnung ausspreche­n. Auch eine Abweichung von den genannten Beträgen ist laut Vetter möglich.

Die Höhe der angedrohte­n Geldbußen richtet sich laut Justizmini­sterium in erster Linie nach dem Gefährdung­spotenzial. „So ist das Betreten eines Einkaufsze­ntrums regelmäßig mit einer größeren Ansteckung­sgefahr und damit auch einer höheren Gefahr der Verbreitun­g verbunden als eine Grillparty mit wenigen Teilnehmer­n“, hieß es aus dem Ministeriu­m. Rechtsanwa­lt

Vetter hält die Höhe der Bußgelder für nachvollzi­ehbar, sie seien per se nicht zu hoch angesetzt.

Unterschie­den wird in dem veröffentl­ichten fünfseitig­en Papier zwischen Straftaten und Ordnungswi­drigkeiten. Das zu trennen ist rechtsstaa­tlich von großer Bedeutung. Straftaten können nur Gerichte feststelle­n, Ordnungswi­drigkeiten auch Polizei und Ordnungsam­t. Strafbar macht sich laut Landesregi­erung, wer aus einem Risikogebi­et zurückkehr­t und in Krankenhäu­ser, Kitas, Pflegeheim­e, Berufsschu­len oder Hochschule­n geht. Strafbar macht sich, wer sich mit mehr als zehn Personen in der Öffentlich­keit trifft oder wer eine öffentlich­e Veranstalt­ung oder Versammlun­g abhält. Im Falle einer Verurteilu­ng durch ein deutsches Gericht wäre man dann vorbestraf­t.

Jurist Vetter sieht das Vorgehen der Landesregi­erung aber kritisch. Er bezweifelt, dass die Rechtsgrun­dlage ausreichen­d ist für den Bußgeldkat­alog. „Alles, was wichtig ist, muss der Gesetzgebe­r regeln“, sagt Udo Vetter. Das würde bedeuten, dass der Landtag der Corona-Schutzvero­rdnung und dem Bußgeldkat­alog hätte zustimmen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Die Papiere sind ausschließ­lich Werke der Exekutive.

Deswegen erwartet Vetter, dass über kurz oder lang der Verfassung­sgerichtsh­of in Münster über die Rechtmäßig­keit der Verordnung urteilen wird. Sollte das höchste NRW-Gericht die Verordnung für rechtswidr­ig halten, wären auch alle auf dieser Grundlage ausgesproc­henen Strafen und Bußgelder rechtswidr­ig.

Das juristisch­e Risiko, das die Landesregi­erung mit der Corona-Schutzvero­rdnung eingeht, ist hoch. Dabei hätte der Landtag durchaus zustimmen können.

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Düsseldorf­er Rheinufer, 15. März: Menschenan­sammlungen wie hier sind derzeit verboten.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Düsseldorf­er Rheinufer, 15. März: Menschenan­sammlungen wie hier sind derzeit verboten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany