Wer sich nicht an das Kontaktverbot hält, kann sich damit sogar strafbar machen. Das ist nicht unproblematisch.
DÜSSELDORF Drakonische Strafen für ein völlig gewöhnliches Verhalten kennt man aus totalitären Staaten, nicht aber aus der Bundesrepublik. Mit dem Bußgeldkatalog, den die nordrhein-westfälische Landesregierung nun erlassen hat, ändert sich das ein wenig. Denn fortan überschreitet die Grenze der Legalität, wer mit anderen im Park grillt. Wer nach dem Urlaub in Tirol die Oma im Seniorenheim besucht, macht sich sogar strafbar. Geht das so einfach? Kann ein Minister Alltagsaktivitäten für strafbar erklären?
Um die Dinge zu sortieren: Das Gesundheitsministerium hat am Sonntag die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 erlassen, kurz: Corona-Schutzverordnung. Darin sind die Dinge aufgeführt, die nun als verboten gelten, also das Durchführen von Konzerten, das Betreiben eines Restaurants, Versammlungen im Freien und so weiter.
Das Gesundheitsministerium hat dies auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes getan. Nach Paragraf 32 dürfen Landesregierungen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten auch Rechtsverordnungen mit Geboten und Verboten erlassen. Das ist mit der Corona-Schutzverordnung geschehen. Um die Gebote und Verbote wirksam durchzusetzen, gibt es nun den Bußgeldkatalog.
Dieser Katalog ist, wie der Düsseldorfer Strafverteidiger Udo Vetter sagt, ein Leitfaden. Das bedeutet, Polizei und Ordnungsamt müssen nicht jeder Gruppe, die sie im Park erwischen, sofort ein Bußgeld
aufdrücken. Sie können, nach den Gepflogenheiten etwa aus dem Straßenverkehr, zunächst eine Verwarnung aussprechen. Auch eine Abweichung von den genannten Beträgen ist laut Vetter möglich.
Die Höhe der angedrohten Geldbußen richtet sich laut Justizministerium in erster Linie nach dem Gefährdungspotenzial. „So ist das Betreten eines Einkaufszentrums regelmäßig mit einer größeren Ansteckungsgefahr und damit auch einer höheren Gefahr der Verbreitung verbunden als eine Grillparty mit wenigen Teilnehmern“, hieß es aus dem Ministerium. Rechtsanwalt
Vetter hält die Höhe der Bußgelder für nachvollziehbar, sie seien per se nicht zu hoch angesetzt.
Unterschieden wird in dem veröffentlichten fünfseitigen Papier zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Das zu trennen ist rechtsstaatlich von großer Bedeutung. Straftaten können nur Gerichte feststellen, Ordnungswidrigkeiten auch Polizei und Ordnungsamt. Strafbar macht sich laut Landesregierung, wer aus einem Risikogebiet zurückkehrt und in Krankenhäuser, Kitas, Pflegeheime, Berufsschulen oder Hochschulen geht. Strafbar macht sich, wer sich mit mehr als zehn Personen in der Öffentlichkeit trifft oder wer eine öffentliche Veranstaltung oder Versammlung abhält. Im Falle einer Verurteilung durch ein deutsches Gericht wäre man dann vorbestraft.
Jurist Vetter sieht das Vorgehen der Landesregierung aber kritisch. Er bezweifelt, dass die Rechtsgrundlage ausreichend ist für den Bußgeldkatalog. „Alles, was wichtig ist, muss der Gesetzgeber regeln“, sagt Udo Vetter. Das würde bedeuten, dass der Landtag der Corona-Schutzverordnung und dem Bußgeldkatalog hätte zustimmen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Die Papiere sind ausschließlich Werke der Exekutive.
Deswegen erwartet Vetter, dass über kurz oder lang der Verfassungsgerichtshof in Münster über die Rechtmäßigkeit der Verordnung urteilen wird. Sollte das höchste NRW-Gericht die Verordnung für rechtswidrig halten, wären auch alle auf dieser Grundlage ausgesprochenen Strafen und Bußgelder rechtswidrig.
Das juristische Risiko, das die Landesregierung mit der Corona-Schutzverordnung eingeht, ist hoch. Dabei hätte der Landtag durchaus zustimmen können.