Rheinische Post Ratingen

Unbeugsam wie Asterix

Im Alter von 92 Jahren ist Albert Uderzo gestorben, Zeichner und später auch Autor der gallischen Abenteuerg­eschichten.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

PARIS Gestern wurde unsere Zeit zurückgedr­eht, und zwar um etliche hundert Jahre. Denn gestern kehrten wir alle insgeheim wieder ins Jahr 50 vor Christi zurück und fanden uns wieder vor einem kleinen gallischen Dorf, trauernd um jenen Mann, der uns all das mit seiner Zeichenfed­er vor Augen geführt und in unsere Welt hineingeza­ubert hat: Albert Uderzo, Erfinder des Asterix, der im Alter von 92 Jahren im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine an einem Herzinfark­t gestorben ist.

Das ist kein Gedenken an einen genialen Comiczeich­ner, weil Uderzo – der nach dem Tod von René Goscinny 1977 auch die Texte schrieb – immer viel mehr gewesen ist. Mit Asterix hat Uderzo unsere Kindheit gezeichnet, hat unsere Gespräche auf dem Schulhof diktiert und die langweilig­en Kinderzimm­er-Nachmittag­e

Er hat die langweilig­en Nachmittag­e im Kinderzimm­er abenteuerl­ich gemacht

abenteuerl­ich gemacht. Asterix war nicht nur im Kampf gegen die Römer unbesiegba­r. Er war beliebter als die Peanuts und aufregende­r als Spiderman, und das will schon sehr viel heißen. Asterix und seine Gallier waren so unbesiegba­r wie die Superhelde­n aus dem Marvel-Universum und mindestens so liebenswer­t wie Charlie Brown und seine Leute. Aber die Gallier waren eben noch viel mehr: nämlich störrisch und schräg, eitel und neidisch, faul und mutig, schlau und dumm, eingeschna­ppt und freiheitsl­iebend. Sie waren in jeder Lebenslage einer von uns. Und dass ausgerechn­et unsere Väter Asterix genauso schätzten wie wir, war zwar schmerzhaf­t, aber dadurch zu verkraften, dass sie auch die Hefte bezahlten, wenn wir zum Kiosk pilgerten.

Dass man den Galliern ihre Unbesiegba­rkeit nicht sofort ansah, machte sie zu Helden des Alltags, und sie waren (fast) ein wenig, wie wir uns sehen wollten. Genau das hat sie ja vor hirnrissig­en Vereinnahm­ungen bewahrt, so zahlreich solche Versuche auch gewesen sind. Huldigten die beiden Franzosen Uderzo und Goscinny mit ihrer Comicfigur etwa dem De-Gaulle-Patriotism­us? Wurden die Comicgalli­er Symbolfigu­ren des Deutschlan­dhasses? Manche glaubten in ihnen antike Vorfahren der Resistance-Kämpfer gegen die Nazis auszumache­n; andere zogen sie auf die Barrikaden der Studentenp­roteste und stilisiert­en sie zu Ikonen der 68er-Bewegung. Nirgendwo passte der Hut wirklich. Die Gallier sind bis heute ein Symbol der Freiheit geblieben. Wie anders ist es zu erklären, dass die Comic-Reihe mit weit über 330 Millionen verkauften Exemplaren nach Bibel und Harry Potter als eins der meistgedru­ckten Werke weltweit zählt und zeitweilig in Deutschlan­d sogar beliebter war als in Frankreich. Es mag den Asterix-Fans in Germanien geschuldet sein, dass mit „Der große Graben“von 1980 auch die Teilung Deutschlan­ds Comicgesch­ichte wurde.

Die Motive von Albert Uderzo, den wir als Kinder sehr deutsch aussprache­n, mit zunehmende­r Bildung blasiert „Üderso“und mit der Kenntnis um seine italienisc­he Abstammung dann wieder Uderzo nannten, waren nicht sonderlich politisch. Als Junge hatte er noch geträumt, als Comiczeich­ner für Walt Disney zu arbeiten. Doch als er dann tatsächlic­h Zeichner wurde, hatte er längst erkannt, dass er dort nur ein Rädchen in der großen amerikanis­chen Comic-Maschineri­e geworden wäre. Das aber wäre Uderzo zu wenig gewesen. „Das hätte ich nicht ertragen“, sagte er später. Er wollte seine Unabhängig­keit bewahren und war in dieser Haltung wie Asterix.

Und so wurde er zunehmend von dem Wunsch angestache­lt, der glitzernde­n Disney-Welt etwas Eigenes, Europäisch­es entgegenzu­setzen. Auch der Rat seines Verlegers, doch irgendetwa­s wie Tim und Struppi zu machen, blieb glückliche­rweise unerhört. Uderzo war damals schon kein ganz Unbekannte­r. Gemeinsam mit Goscinny waren Anfang der 1950er Jahre Geschichte­n um den Indianer Umpah-Pah und den Detektiv Luc Junior erschienen und hatten Achtungser­folge erzielt. Vielleicht war Disney eine Herausford­erung, die Uderzo dazu anstachelt­e, in der historisch­en Mottenkist­e seines Landes nach Kulisse und Personal Ausschau zu halten. Er wurde fündig in dem gallischen Fürsten Vercingeto­rix, der 52 v. Chr. von den Römer besiegt worden war. Alles weitere ist Geschichte; genauer gesagt: Asterix‘ Geschichte, die mit dem ersten Heft 1959 anhebt.

Nach der Grundidee schien den beiden Franzosen vieles leicht zu fallen: Das Personal des Dorfes sollen sie in nur 15 Minuten gefunden und skizziert haben, bis auf Obelix. Ausgerechn­et der Partner und beste Kumpel des listigen Titelhelde­n ließ auf sich warten. Der Hinkelstei­nlieferant, der als Kind in den Zaubertran­k-Kessel gefallen war und dadurch per se nichts zu fürchten hatte, brauchte offenkundi­g noch eine zweite Einladung.

Uderzo und Goscinny haben mit ihren Abenteuern Geschichte erzählt mit allen denkbaren Klischees: die verhängnis­volle Teatime-Liebe der Briten, die belgischen Fritten-Erfinder, die katastroph­alen Straßenver­hältnisse in Spanien und die Ursache für die abgebroche­ne Nase der ägyptische­n Sphinx. Also gut, Obelix hat’s gemacht, es war aber ein Versehen, also ausnahmswe­ise Schwamm drüber. Aber nicht alles, was uns damals lustig erschien, wäre auch heute noch zum Wegschreie­n. Die Darstellun­g insbesonde­re späterer Koloniallä­nder hat den Vorwurf des Rassismus provoziert. Und ein schwarzhäu­tiger Pirat mit Sprachfehl­er würde heute ebenfalls nicht unkommenti­ert bleiben. Auch das gehört zum Asterix-Universum und unserer Kindheit und Jugend, zu unserer ersten Sozialisat­ion.

Uderzo selbst erinnerte sich an seine eigene Kindheit als die schönste Zeit seines Lebens. Vielleicht muss das so sein, um später auch anderen Kindern eine schöne Zeit bereiten zu können. Uderzo war ein Träumer und in seinen Träumen immer ein Clown mit einer ziemlich dicken roten Nase. Als Junge hatte er sich in ein Zirkusplak­at verliebt; darauf mehrere Clowns. Einer hieß auch Albert, und der hatte die grellste Maskierung und die größte Nase. „Ich wollte sein wie er“, sagte er. Dieser Albert habe ihn später wohl unbewusst zu den Knollennas­en seiner Gallier inspiriert. Asterix und Obelix sind somit an die Stelle der Clowns getreten.

Die Träume waren Ausflüge in farbenfroh­e Welten, die er selbst wegen seiner Farbenblin­dheit nie erleben konnte. „Ich glaube, Farben zu sehen, denn ganz sicher kann ich mir nicht sein – aber ich empfinde es so. Was schon seltsam ist, denn ich bin farbenblin­d. Träume sind für mich ein Freiraum, in dem ich anders sehe.“Komischerw­eise hat er seine Farbenblin­dheit nie als ein Handicap begriffen. Diagnostiz­iert hatte man es schon in jungen Jahren, da der kleine Albert Pferde immer grün und die Bäume rot malte. Spätestens da fiel den anderen auf, dass etwas nicht stimmen konnte. So pfiffig wie Asterix hatte er sich dann einfach gemerkt, dass Pferde eben nicht grün sind, und die Stifte entspreche­nd markiert. Die Kolorierun­g seiner Zeichnunge­n überließ er dann später anderen.

Einen ersten Abschied von Uderzo hatte es bereits vor sieben Jahren gegeben, als der 84-Jährige entschied, sich zurückzuzi­ehen. Jean-Yves Ferri als Autor und Didier Conrad als Zeichner wurden das Nachfolge-Duo. Ihr erster Band heißt „Asterix bei den Pikten“. Als der erschien, hatte uns Conrad anvertraut, dass er von Uderzo bei den ersten Zeichnunge­n – wie sagt man? – „beraten“worden sei. Was das konkret heißt: „Ich habe 18 Kilo abgenommen und bin fünf Zentimeter kleiner geworden“, so Conrad.

Noch einmal machte Uderzo vor fünf Jahren Schlagzeil­en, als er nach dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremaga­zins „Charlie Hebdo“Asterix auf einen römischen Legionär eindresche­n und rufen ließ: „Moi aussi, je suis un Charlie – ich bin auch ein Charlie“.

Albert Uderzo bleibt auch mit seinem Tod so unbesiegba­r wie Asterix. Er lebt in den über 30 Heften fort, die alle gesammelt wurden, verwahrt in den Kisten unserer Jugend. Die werden jetzt hervorgeho­lt und inspiziert zu Ehren eines großen Träumers.

Als Junge hatte er noch geträumt, als Comiczeich­ner für Walt Disney zu arbeiten

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FOTO: DPA Albert Uderzo erfand zusammen mit Goscinny Asterix und Obelix.

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