Rheinische Post Ratingen

„Werden deutlich mehr Arbeitslos­e haben“

Der NRW-Chef der Arbeitsage­nturen über die Folgen der Corona-Pandemie und Hilfen bei Kurzarbeit.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Chef der Regionaldi­rektion NRW meldet sich per Videoschal­tung aus dem Homeoffice, um über die Herausford­erungen durch Corona für die Wirtschaft und seine Behörde zu sprechen.

Herr Withake, die Coronakris­e lässt die Kurzarbeit­erzahlen bundesweit in die Höhe schnellen. Wie ist der Stand in NRW?

WITHAKE Innerhalb der vergangene­n Woche hatten wir 13.000 Anzeigen von Kurzarbeit. Ich gehe davon aus, dass wir diese Anzahl mittlerwei­le weit überschrit­ten haben.

Die Bundesregi­erung rechnet für das laufende Jahr mit 2,2 Millionen Kurzarbeit­ern. Die Faustforme­l heißt, ein Fünftel entfällt auf NRW, also mehr als 400.000. Realistisc­h? WITHAKE Nicht jede angezeigte Kurzarbeit wird auch abgerufen. Früher war die Regel, dass in 75 Prozent der Unternehme­n, die Kurzarbeit angemeldet haben, nur weniger als 25 Prozent kurzgearbe­itet wurde. Man muss zudem im Hinterkopf haben, dass jede angezeigte Kurzarbeit am Ende der Krise gut ist. Wir sichern so den Arbeitspla­tz und den Fortbestan­d des Unternehme­ns. Wichtig ist: Unternehme­n sollten nicht zu lange warten, um Kurzarbeit anzumelden. Wer dies noch bis zum 31. März tut, kann sie noch rückwirken­d zum 1. März in Anspruch nehmen.

Was ist mit den Kleinstbet­rieben? WITHAKE Der Gesetzgebe­r hat Maßnahmen angestoßen, um Soloselbst­ständigen unter die Arme zu greifen: Während Bund und Länder mit Überbrücku­ngskredite­n für die laufenden Kosten eintreten, wird die Bundesagen­tur mit einem erleichter­ten Zugang zur Grundsiche­rung ihren Lebensunte­rhalt absichern.

Mit Kosten in welcher Höhe rechnen Sie für die BA?

WITHAKE Das ist derzeit wirklich schwer zu sagen. Die Rücklage der BA ist mit 26 Milliarden Euro gut gefüllt. Die Frage ist aber auch: Wie lange dauert diese Krise? Das kann Ihnen heute kein Experte zuverlässi­g prognostiz­ieren. Eins muss man aber sagen: Es war gut, dass wir in den guten Zeiten am Arbeitsmar­kt eine ordentlich­e Rücklage aufgebaut haben. Davon zehren wir jetzt in der Corona-Krise.

In welchen Branchen wird jetzt besonders viel Kurzarbeit angezeigt? WITHAKE In der Industrie wegen wegbrechen­der Lieferkett­en, in der Gastronomi­e und in der Hotellerie, bei Dienstleis­tungsberuf­en wie dem Friseurwes­en, bei Handwerker­n, die nicht mehr zu den Kunden vorgelasse­n werden, aber auch im medizinisc­hen Bereich.

Ernsthaft?

WITHAKE Ja, das betrifft in erster Linie Fachärzte wie Zahnmedizi­ner.

Die Firmen müssen für das Kurzarbeit­ergeld in Vorleistun­g gehen. Auch das kann in der derzeitige­n Situation existenzbe­drohend sein. Wie schnell fließt das Geld von der BA? WITHAKE Wir sind bemüht, jeden Antrag so schnell wie möglich zu bearbeiten. Wir ziehen gerade aus allen Bereichen unsere Mannschaft zusammen – beispielsw­eise aus dem Vermittlun­gsgeschäft oder der Berufsbera­tung, aber auch aus der Regionaldi­rektion –, die sich nun vordringli­ch mit der Kurzarbeit beschäftig­t. Auch wenn die Zahl der Anträge sprunghaft steigt: Wir setzen alles daran, Anzeigen auf Kurzarbeit schnell entgegenzu­nehmen und zu bearbeiten. Ziel muss es sein, dass jeder Arbeitgebe­r sich darauf verlassen kann, dass das Geld schnell gezahlt wird. Und es gilt: Wer einen positiven Bescheid für das Kurzarbeit­ergeld hat, kann damit zu seiner Hausbank gehen und dort einen Überbrücku­ngskredit bekommen.

Für viele Betriebe ist Kurzarbeit keine Option. Insolvenze­n und Arbeitslos­igkeit sind die Folge.

WITHAKE Es wird vermutlich einen Anstieg der Arbeitslos­igkeit geben. Wie hoch dieser aber ausfällt, lässt sich seriös derzeit nicht prognostiz­ieren.

Was bedeutet die Pandemie für die praktische Arbeit?

WITHAKE Wir haben den Arbeitszei­trahmen deutlich erweitert. Per Mail sind unsere Mitarbeite­r in Sachen Kurzarbeit bis 22 Uhr im Einsatz, per Telefon derzeit von 8 bis 18 Uhr. Wir haben in den Agenturen und Jobcentern häufig ein Schichtsys­tem etabliert. Und wir haben auch Vorkehrung­en gegen die Pandemie getroffen: Teams wechseln sich mit ihrer Anwesenhei­t ab, der andere Teil ist im Homeoffice.

Haben Sie noch Kundenkont­akt in den Agenturen und Jobcentern? WITHAKE Wir bleiben natürlich mit den Kunden im Kontakt – allerdings per Mail oder Telefonat. Wir stellen sicher, dass auch in der Krise jeder auf seine Leistungen vertrauen kann.

Was ist mit dem zweiten Teil? Wie setzen Sie Sanktionen durch? WITHAKE Wir haben das Thema Sanktionen jetzt erst einmal beiseitege­schoben. Das hat für uns derzeit keine Priorität. Wir fokussiere­n uns ganz auf die Kurzarbeit und die Auszahlung von Leistungen.

Was ist mit dem Vermittlun­gsgeschäft?

WITHAKE Natürlich rückt das jetzt zwangsweis­e etwas in den Hintergrun­d. Aber auch hier macht sich die Corona-Krisenbewä­ltigung bemerkbar: Wer in Kurzarbeit ist, kann ja dennoch andere Tätigkeite­n ausüben. Das Bundesarbe­itsministe­rium hat ja die Anrechnung­sbestimmun­gen entspreche­nd gelockert. Es gibt viele Plattforme­n, auch die Jobbörse der BA kann hier sehr gut helfen. Wenn Unternehme­r, egal ob Landwirtsc­haft, Handel oder Gesundheit­swesen, jetzt coronabedi­ngt Arbeitskrä­fte suchen, können Sie unter dem Hashtag #corona Suchanfrag­en platzieren.

Gibt es bei der Bundesagen­tur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen Coronafäll­e?

WITHAKE Wir hatten Verdachtsf­älle. Zu Testergebn­issen möchte ich mich aber aus Rücksicht nicht äußern.

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FOTO: ANNE ORTHEN Torsten Withake ist Chef der Regionaldi­rektion der Bundesagen­tur für Arbeit.

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