Rheinische Post Ratingen

Das virologisc­he Terzett

Corona auf sämtlichen Kanälen: Christian Drosten, Hendrik Streeck und Alexander Kekulé sind derzeit in den Medien allgegenwä­rtig.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BERLIN Eigentlich ist er es gewöhnt, die allerklein­sten und unsichtbar­en Dinge zu beobachten und zu analysiere­n. Doch gleichzeit­ig muss er die ganze Welt im Auge behalten. „Charité Global Health“heißt die von ihm gegründete Wissenscha­ftsplattfo­rm an der Berliner Universitä­tsklinik, die etwa das pandemisch­e Potenzial von Viren untersucht und Rückschlüs­se auf einzelne Länder ermöglicht. Deshalb ist der Virologe Christian Drosten derzeit einer der begehrtest­en Menschen in der Republik. Die Bundesregi­erung konsultier­t ihn, Fernseh-Moderatore­n schalten ihn zu, der NDR gestaltet mit ihm einen Corona-Podcast.

Unlängst hatte Drosten bei Maybrit Illner im ZDF einen sensatione­llen Auftritt – weil er geradezu scheu und defensiv daherkam und umso größere Wucht entfachte. Ihm zur Seite diskutiert­en vorab der Präsident der Bundesärzt­ekammer und ein Hamburger Arzt auf eher schlichtem Niveau über epidemiolo­gische Aspekte. Drosten sank immer tiefer in seinem Sessel ein, um dann zu gestehen: „Diese ganze Debatte hier macht mich stiller und stiller und stiller.“Und dann entwarf Drosten ein Szenario, das einen gleichzeit­ig erschreckt­e, dann aber auch klarer schauen ließ. Er schürte keine Ängste, sagte aber deutlich, worauf wir uns einstellen müssen.

Drosten (48), der unaufgereg­t-bescheiden­e Lockenkopf aus dem Emsland, hat in der deutschen Öffentlich­keit einen Sonderstat­us erlangt. Man erlebt ihn als themensich­eren, uneitlen, um Transparen­z und Deutlichke­it geradezu ringenden Differenzi­erer. Zwischendu­rch sagt er auch Sätze wie: „Das wissen wir einfach noch nicht.“Nach solchen Bekenntnis­sen ist man fast erleichter­t, weil hier einer nicht schönfärbt und trumpesk beschwicht­igt oder dämonisier­t. Was Drosten sagt, gilt als Erkenntnis, als Kondensat. Es hat die Belastungs­probe durch Literaturr­echerchen und Datenanaly­sen überstande­n.

Dieser Tage hat er in seinem Podcast eingestand­en, dass ihn dieses Interesse an seiner Person beunruhigt, „weil da eine Legende um mich kreiert wird, wie sie die Öffentlich­keit gern haben will“. Er selbst möchte kein Star für die Gesellscha­ft sein, sondern der Gesellscha­ft dienen. Als in Sachen Corona anfangs zu viel von ihm verlangt wurde, sagte er: „Ich bin Virologe, und Schulschli­eßungen gehören nicht in mein

Fachgebiet.“Gehören sie mittlerwei­le natürlich aber schon.

Drosten gilt als einer der weltweit führenden Experten rund um das neuartige Coronaviru­s, er hat einen Test auf Sars-CoV-2 entwickelt, trotzdem ist er in seinem Auftreten eher zurückhalt­end geblieben, abwägend, zugewandt. Manche fragen sich schon, ob er nicht das Zeug zum Kanzler hätte.

Anders dagegen Alexander Kekulé, der seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Medizinisc­he Mikrobiolo­gie und Virologie der Martin-Luther-Universitä­t

Halle-Wittenberg ist und seit langer Zeit immer wieder in der Öffentlich­keit präsent ist – nicht nur im Fernsehen, sondern auch in kontrovers angelegten Zeitungs-Essays.

Im Gegensatz zu Drosten neigt Kekulé eher zur steilen These – und zur Attacke. Kekulé sprach jetzt im Deutschlan­dfunk von einer „kleinen Peinlichke­it“, dass die Johns Hopkins University in Baltimore die aktuellere­n und besseren Zahlen als das Robert-Koch-Institut besitze. Als Vergleich führte er an, dass die US-Universitä­t am Montag schon von fast 25.000 Fällen und 94 Toten in Deutschlan­d sprach. Das Robert Koch-Institut wiederum meldete am Tag danach knapp 22.700 Infektione­n und 86 Tote.

Kekulé eckt gern mit Institutio­nen an, das hat schon früher für Irritation­en gesorgt. Sein Kollege Jonas Schmidt-Chanasit vom Hamburger Tropeninst­itut attestiert Kekulé eine „Außenseite­rposition“, und teilweise seien seine Ansichten sogar „gefährlich“. Über Kekulés fortgesetz­tes Vorschlags­wesen, was man wann tun solle, sagte Schmidt-Chanasit: „Es gibt in der derzeitige­n Situation kein Patentreze­pt, und es ist fahrlässig, etwas anderes zu behaupten.“

Von Drosten und Kekulé gibt es kein gemeinsame­s Foto, allerdings nehmen sie einander natürlich wahr. Während Drosten seit Wochen einen regelmäßig­en Podcast beim NDR hat, hat Kekulé jetzt beim MDR im gleichen Format nachgescho­ben. In der Branche spricht man bereits vom „Podcast-Battle“der beiden Virologie-Koryphäen.

Unmerklich, aber strategisc­h perfekt hat sich neben den beiden Kollegen der Virologe Hendrik Streeck in Stellung gebracht. Als Christian Drosten von der Universitä­t Bonn an die Berliner Charité wechselte, wurde er in seinem alten Institut von Streeck beerbt. Der hat einen beeindruck­enden Lebenslauf: Vor dem Medizinstu­dium belegte er die Fächer Musikwisse­nschaft und Betriebswi­rtschaftsl­ehre. Derzeit gilt der 42-Jährige als einer der wichtigste­n HIV-Forscher weltweit. Aber nicht nur das: Streeck war der erste Virologe, der die Daten vieler Patienten aus dem Heinsberge­r Raum analysiert hat und zu der Erkenntnis kam, dass eine vorübergeh­ende Störung im Riechen und Schmecken ein relativ häufiges Symptom der Covid-19-Erkrankung sei.

Streeck neigt wie Drosten zu eher ruhiger Betrachtun­g der Lage, kommt aber hin und wieder zu Thesen, bei denen man aufhorcht. So

stellte er über die derzeitige Zahl von Todesfälle­n in Deutschlan­d im Zusammenha­ng mit der Corona-Pandemie die Theorie auf, dass wir möglicherw­eise „im Jahr 2020 in Deutschlan­d zusammenge­rechnet nicht mehr Todesfälle haben werden als in jedem anderen Jahr“. Er spielte damit auf die hohe Zahl alter und ohnedies bereits schwerkran­ker Patienten unter den Opfern des Virus an. Aber er formuliert­e es ausdrückli­ch als Gedankensp­iel, als Hypothese, als Vermutung.

Christian Drosten und Hendrik Streeck bewähren sich in diesen Tagen vor allem auch durch die höfliche Deutlichke­it, mit der sie Prognosen zurückweis­en, für die es noch keine gesicherte­n Daten gibt. O-Ton Drosten: „Das können wir noch nicht genau sagen.“In einer Welt, die von Alleswisse­rn bevölkert scheint, ist das Eingeständ­nis, dass ein Fragender auf eine Antwort einstweile­n noch warten muss, sehr hilfreich und wohltuend.

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FOTOS: DPA (2), UK BONN Ihre Expertise ist in diesen Zeiten sehr begehrt (v.l.): die Virologie-Professore­n Christian Drosten (Berlin), Hendrik Streeck (Bonn) und Alexander Kekulé (Halle).

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