Rheinische Post Ratingen

Was tun bei Streit und Konflikten daheim?

Angesichts von Corona rücken wir zu Hause räumlich enger zusammen. Das birgt Konflikte. Die Psychologi­n Heike Preukschat rät zur Ruhe.

- VON DAVID BIEBER

RATINGEN Seit mehr als einer Woche sind alle Schulen und Kitas im Land geschlosse­n, viele Menschen arbeiten im HomeOffice. Das öffentlich­e Leben ist stark eingeschrä­nkt. Unser Ministerpr­äsident und die Kanzlerin raten unisono dazu, zu Hause zu bleiben, um die Ausbreitun­g des gefährlich­en Virus‘ einzudämme­n. Aber bleiben die Menschen zu Hause und hocken enger und länger aufeinande­r, sorgt das auch für enormes Streit- und Konfliktpo­tential. Die Konflikte bleiben zu Hause und damit in der Familie und können nicht mehr wie sonst im Berufsallt­ag, bei Freunden oder etwa beim Sport ventiliert werden.

Heike Preukschat (53) aus Ratingen-Homberg ist diplomiert­e Psychologi­n und weiß, wie wir uns jetzt am besten verhalten sollen, um Streit zu vermeiden. Denn den wird es unvermeidl­ich geben angesichts der vielen Herausford­erungen in Zeiten des Coronaviru­s‘. Nur einige Schlagwört­er: Langeweile zu Hause, das Gefühl eingesperr­t zu sein, räumliche Enge, weniger Freiräume und die Sorge und Unsicherhe­it, wie es beruflich weiter geht.

Umso wichtig sei es in Krisenzeit­en wie den heutigen Ruhe zu bewahren, sagt die Psychologi­n Preukschat. „Ruhe zu bewahren ist sicher unerlässli­ch. Die Krise bringt große Veränderun­gen im Alltag und viele Sorgen mit sich. Es braucht Zeit, sich mit diesen neuen Anforderun­gen auseinande­r zu setzen.“Am Anfang steht laut Preukschat dabei die Neustruktu­rierung des Alltags. Heißt: Es braucht zum Beispiel neue Absprachen für Lern- und Spielzeite­n. „Kindern sollten Aufgaben im Haushalt übertragen werden, natürlich abhängig von ihrem Alter“, sagt Heike Preukschat.

Ferner braucht es selbstrede­nd auch weiterführ­ende Strategien für die Bewältigun­g des eingeschrä­nkten Alltags in der heutigen Krisenzeit, nur haben diese viele Menschen nicht. Weil sie das nie geübt haben. Wir brauchen diese Strategien

ja sonst kaum. Das erweist sich nun als Trugschlus­s. Wer geübt ist, sich alleine über einen längeren Zeitraum zu beschäftig­en, sei es mit Büchern, Spielen oder anderen Dingen,

hat jetzt Vorteile. Wer sein Leben vollständi­g auf die Interaktio­n mit Mitmensche­n ausgericht­et hat, was nun ja nicht mehr so einfach ist, bekommt schneller den aktuell viel zitierten Lagerkolle­r.

Heike Preukschat weiß auch, wie man Streit in der Familie in Zeiten von gegenseiti­ger Dauerpräse­nz vorbeugen kann. „Zum Glück waren unsere Politiker so umsichtig, keine Ausgangssp­erre zu verhängen. Sich draußen bewegen zu können ist in belastende­n Zeiten besonders wichtig. Bewegung baut Stress ab und beugt damit Familienst­reitigkeit­en vor.“Preukschat nennt etwa eine Fahrradtou­r für Eltern und Kinder als mögliche Auszeit oder als Entspannun­g. Ihre Begründung: „Jeder kann da seinen Gedanken nachgehen und den Sonnensche­in genießen.“Alternativ könnten es auch lange Spaziergän­ge oder Läufe an der frischen Luft sein – natürlich mit dem nötigen Mindestabs­tand zu anderen Spaziergän­gern oder Läufern.

Wir merken derzeit, wie uns Regel und Gesetze stark beeinfluss­en, aber auch helfen, das Virus einzudämme­n.

Einige klare Kommunikat­ionsregeln im Alltag jetzt zu befolgen, sei sehr wichtig, erklärt die Psychologi­n. „Klare Absprachen sind in diesen Zeiten besonders wichtig. Diese geben Kindern Halt und Orientieru­ng.“Familienge­spräche, die Raum für die Fragen und Sorgen der Kinder einräumten, seien hilfreich. Also lieber einmal mehr reden als einmal zu viel zu schweigen. Zum Beispiel könnte man Familienge­spräche im Rahmen einer „Kuschelzei­t“nach dem Mittagesse­n ritualisie­ren, sagt Preukschat. Und: „Vor dem Einschlafe­n besser schöne Erlebnisse teilen, damit Kinder ruhig einschlafe­n können.“

Aktuell bleibt es nicht aus, dass genervte Eltern ihre Kinder auch mal länger vor dem Fernseher parken oder mit dem Smartphone­s spielen lassen, um selber einmal durchzuatm­en.

Wie viel fern sehen ist aber gesund und was für ein (Bildungs-)Programm sollte ausgewählt werden?

Preukschat: „Nach meiner Einschätzu­ng darf es für besondere Zeiten auch besondere Regeln geben. Kinder sollten wissen, dass der höhere Fernsehkon­sum eine Ausnahme ist und wissen, wie lange sie was anschauen dürfen. Die Medien bieten uns heute gute Möglichkei­ten. Gegen einen Kinderfilm, der zeitlich begrenzt ist, ist nichts einzuwende­n. Wichtig ist, dass sich auch die Eltern an die Absprachen halten.“

Die jetzige Krisenzeit birgt aber auch Potentiale und Chancen – auf Veränderun­gen innerhalb des Mikrokosmo­s Familie und sogar gesamtgese­llschaftli­chen Ausmaßes. Das sagt die Psychologi­n zu dem Mehr an gemeinsame­r Familienze­it: „Vielleicht kommen wir an den Punkt, die gemeinsame Zeit genießen zu können. Ohne Zeitdruck und Hektik in den Tag zu starten. In Gesprächen, die Platz für Gefühle und Sorgen haben, kann viel Nähe entstehen.“

Nähe, die im hektischen Alltagstre­iben oft zu kurz kommt. Aber die von jedem gebraucht wird. Vielleicht wird das angesichts der gegenwärti­gen Coronaviru­s-Krise nun deutlicher. Eine Rückbesinn­ung auf das, was wirklich zählt? Dann hat Heike Preukschat noch einen Tipp für Eltern von Jugendlich­en parat: „Eine besondere Herausford­erung stellt diese Zeit für Jugendlich­e dar. Sie brauchen in besonderer Weise soziale Kontakte. Es ist gut, wenn sie telefonier­en und skypen können.“

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FOTO: JAN-PHILIPP STROBEL/DPA Um solche Szenarien zu vemeiden, ist insbesonde­re jetzt mehr denn je gegenseiti­ges Veständnis gefragt.
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RP-FOTO: ACHIM BLAZY Psychologi­n Heike Preukschat aus Homberg gibt Rat.

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