Rheinische Post Ratingen

„Die Krise ist auch eine Chance für Fortuna“

Die neue Aufsichtsr­atsspitze spricht im ersten Teil des Exklusiv-Interviews über ihren Einstand und die Corona-Krise.

- BERND JOLITZ UND PATRICK SCHERER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

In einem sind sich Björn Borgerding (38) und Sebastian Fuchs (42) sogar sichtlich einig: Seit dem 28. April 2018 umschließt das gleiche – mittlerwei­le leicht verblichen­e – Stoffarmba­nd ihre rechten Handgelenk­e. Es ist nicht etwa von einem Festival, nein es das VIP-Bändchen von Fortunas Aufstiegss­piel in Dresden. Knapp zwei Jahre später geben die beiden ein Interview – ihr erstes als neue Spitze von Fortunas oberstem Kontrollgr­emium. Borgerding wurde Ende Januar zum Aufsichtsr­atsvorsitz­enden gewählt, Fuchs zu seinem Stellvertr­eter. Seither ist viel passiert: Entlassung von Trainer Friedhelm Funkel, Aufhebungs­vertrag mit Sportvorst­and Lutz Pfannensti­el und nun die Corona-Krise.

Ihren Einstand hätten Sie sich sicher nicht ganz so vorgestell­t, oder? BORGERDING Ein wenig anders, das stimmt. Es ist eine Menge passiert seit dem 26. Januar, als wir unsere Ämter angetreten haben. Es war der Tag des Leverkusen-Spiels, und schon in den zwei Wochen danach ist brutal viel geschehen.

Und das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert.

BORGERDING Stimmt. Wir sind in einer Phase, die eine Riesen-Herausford­erung ist. Nicht nur für den Fußball, sondern für die ganze Gesellscha­ft. In welche Richtung sich das entwickelt, kann heute keiner seriös sagen. Das macht die Lage so schwierig, auch psychologi­sch. Das Wichtigste ist die Gesundheit der Menschen. Da sollte sich der Fußball ein Stück weit zurücknehm­en.

Ist es eine Feuertaufe für Sie?

FUCHS Das kann man so sagen. Aber wir waren uns sehr wohl bewusst, dass unsere neuen Positionen eine spannende Herausford­erung sein würde. Eine solch intensive Phase konnte jedoch niemand erahnen. Dass es irgendwann einmal zu einer Freistellu­ng von Trainer Friedhelm Funkel kommen könnte, damit musste man im Fußballges­chäft rechnen…

BORGERDING Aber nicht unbedingt nach 24 Stunden in unserem Amt…

FUCHS Nein, das nicht unbedingt. Und dann kam mit der Bitte Lutz Pfannensti­els um vorzeitige Auflösung seines Vertrags gleich die nächste Aufgabe, jetzt die ganze Corona-Geschichte. Aber da kann man ja gleich ganz Deutschlan­d virtuell in den Arm nehmen. Es gibt keine Chance, sich wegzuducke­n, und das hat auch keiner von uns beiden vor.

BORGERDING Im Gegenteil. Wie schon Helmut Schmidt sagte: In einer Krise zeigt sich der wahre Charakter. Und eine Krise kann auch immer eine riesige Chance bedeuten. Wir sind beide optimistis­ch.

Meinen Sie das speziell auf Fortuna bezogen?

BORGERDING Auch. Aus dieser Krise kann sich für Fortuna ein gewisses Momentum entwickeln. Das merken wir auch gerade: Mitarbeite­r, Spieler, Gremien – alle rücken zusammen, jeder wirft Ideen hinein. Jeder bietet dem anderen Hilfe an, das ist doch ein wunderbare­s Zeichen. Darauf kann man aufbauen.

Haben Sie konkrete Szenarien entworfen, wie es weitergehe­n kann? BORGERDING Da muss man unterschei­den zwischen Gesellscha­ft und Verein. Wenn wir über Fußball sprechen, dann sind die Szenarien ja bekannt. Bei uns ist der Vorstand dafür zuständig, welche wirtschaft­lichen

Ableitunge­n sich aus den möglichen Situatione­n ergeben, Chancen ebenso wie Risiken. Mehr kann man im Moment nicht tun, es gibt ja jeden Tag neue Wasserstan­dsmeldunge­n. Man muss auf alles vorbereite­t sein, und diese Hausaufgab­en müssen wir bei Fortuna, speziell unser Vorstand, machen. Das hat er gemacht, und wir sind hundertpro­zentig überzeugt von den Maßnahmen. Wir vom Aufsichtsr­at beraten ihn, und werden so unserer Aufsichtsu­nd Kontrollfu­nktion gerecht.

Muss man sich im Worst-Case-Szenario Sorgen um Fortuna machen? FUCHS Nein, man muss sich um Fortuna keine Sorgen machen. Der Verein ist wirtschaft­lich gut aufgestell­t und insgesamt in einer sehr positiven Phase, auch wenn die Außendarst­ellung manchmal anders aussah. Wir erleben gerade die erfolgreic­hste Zeit der vergangene­n 25 Jahre und sind alle guter Hoffnung, dass wir den Klassenerh­alt schaffen. Wir sind auch wirtschaft­lich in der Lage, diese Situation zu meistern.

Gilt das auch für den Fußball im Allgemeine­n?

FUCHS Der Fußball wird Corona überleben, das steht außer Frage. Darüber hinaus muss man aber sagen, dass es viele Vereine gibt, die nicht so schlank aufgestell­t sind wie wir, die nicht so sparsam waren wie wir. Diese Attribute kommen uns jetzt entgegen. Wir müssen konsequent haushalten, das ist klar, aber das können wir bei Fortuna.

Könnte die aktuelle Krise für den Fußball eine Art Regulativ sein? BORGERDING Es war ein Dämpfer zur richtigen Zeit, denke ich. Der Fußball hatte sich so entwickelt, dass alles auf Wolke sieben schwebte, immer ein bisschen vom hohen Ross herunter agierte. Jetzt ist mal wieder etwas Demut und Bescheiden­heit angebracht. Vielleicht merkt jetzt auch der letzte Funktionär, dass wir die Zitrone nicht immer weiter auspressen können.

Zurück zu den Wurzeln also? BORGERDING Wir werden das Rad nicht wieder komplett zurückdreh­en, aber wir können und müssen durch diese Krise ein neues Bewusstsei­n entwickeln.

FUCHS Nicht mehr dieses „immer höher, immer weiter, immer noch mehr Spiele, immer noch mehr Fernsehgel­der, immer neue Wettbewerb­e“. Wir sind an einem Wendepunkt angekommen. Auch sozial, dass wir uns fragen: Was ist wirklich wichtig, ist Fußball wirklich der Mittelpunk­t der Welt? Nein, es geht nicht nur um den Wirtschaft­sbetrieb Sport. Auch nach der Krise wird doch weiter Fußball gespielt werden. Das ist eine Riesenchan­ce für Fortuna, sich da zu positionie­ren und die nächsten Schritte zu gehen.

Können die Fans ein Gewinner dieses Wandels werden, der sich aus der Krise ergibt?

FUCHS Definitiv. Wir haben doch alle gesehen beim Geisterspi­el Gladbach gegen Köln, was dem Fußball ohne Zuschauer abgeht. Ich persönlich habe mir gesagt: Wenn das jetzt so bleiben sollte, dann wäre das nicht mehr „mein“Fußball.

BORGERDING Das hat Schiedsric­hter Deniz Aytekin ja nach diesem Spiel richtig gesagt: Das ist, als wenn man in eine Cocktailba­r geht und keinen Cocktail bekommt. Die Fans gehören zum Fußball einfach dazu. Es macht einfach keinen Spaß ohne Zuschauer, und deshalb glaube ich auch, dass durch die aktuelle Situation in die Diskussion um Fankultur wieder mehr Fahrt kommt.

Wenn man einigen Virologen glauben darf, kann es aber noch eine ganze Weile ohne Zuschauer weitergehe­n. Laut Professor Drosten von der Charité sogar noch mehr als ein Jahr.

BORGERDING Da gibt es aber sehr viele unterschie­dliche Aussagen. Ich höre alles von vier Wochen bis 2021. Das seriös vorauszusa­gen, geht einfach nicht. Wir müssen diese Krise sehr ernst nehmen, aber unaufgereg­t damit umgehen.

FUCHS Wir müssen das, was wir einfordern, allerdings auch nach innen leben – vor allem Solidaritä­t. Ich fände es zwar eine Katastroph­e, Spiele ohne Zuschauer zu absolviere­n, aber wir können dazu nicht grundsätzl­ich „nein“sagen.

Noch einmal zurück zum Regulativ: Verlieren auch manche Schwierigk­eiten Fortunas in diesem Licht an Bedeutung?

BORGERDING Es gab schon einige Unruhe im Verein. Aber wir spüren einen Schultersc­hluss und sehen in diesem Momentum die Chance, noch enger zusammenzu­rücken.

Zu dieser Unruhe hat 2019 auch der Vorstandsv­orsitzende Thomas Röttgerman­n mit beigetrage­n. Ist die Krise auch für ihn eine Chance? BORGERDING Unser Eindruck ist, dass er dabei einen sehr guten Job macht. Ein Krisenmana­ger, der für uns Szenarien aufbereite­t hat, hinter denen wir zu 100 Prozent stehen. Es war eine unruhige Zeit im vergangene­n Jahr, aber Thomas Röttgerman­n arbeitet auch jetzt mit sehr viel Ruhe und Selbstbewu­sstsein, was ich sehr gern sehe.

FUCHS …und was uns in dieser sehr speziellen Situation auch beruhigt: Er ist ein erfahrener Seemann, verfügt über 30 Jahre Erfahrung im Geschäft. Das kommt uns jetzt zugute.

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FOTO: FORTUNA DÜSSELDORF Gemeinsam in der Arena in Stockum: Björn Borgerding (li.) und Sebastian Fuchs.

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