Rheinische Post Ratingen

Bis wieder „Leben in der Bude“ist

Es ist eine historisch­e Sitzung im Bundestag, aber die Stimmung ist gedrückt.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Nichts ist wie sonst. Keine zeitrauben­de Schlange am Eingang, kein dichtes Gedränge im Fahrstuhl, keine fröhlichen Besuchergr­uppen, kein heftiger Schlagabta­usch der Abgeordnet­en. An den Garderoben hängen an diesem eiskalten Mittwochmo­rgen im März auch keine Jacken, und auf den Tribünen und im Plenum ist abschnitts­weise Leere verordnet. Im Saal darf nur der kleinere Teil der 709 Abgeordnet­en sitzen, mindestens zwei Stühle müssen zwischen den Politikern frei bleiben. Wer dort normalerwe­ise sitzt, muss die Debatte von außen verfolgen. Soziale Distanz, Abstand halten. Das Land ist im Ausnahmezu­stand, und sein Parlament spiegelt das wider. Vizekanzle­r Olaf Scholz spricht von einer „schicksalh­aften Herausford­erung für die ganze Menschheit“. Die Sitzung ist historisch, die Stimmung gedrückt. Der Bundestag in Zeiten von Corona.

Dazu gehört, dass Scholz und nicht die Bundeskanz­lerin die einleitend­e Rede hält; er erläutert das bisher größte Rettungspa­ket seit dem Zweiten Weltkrieg inklusive gravierend­er Eingriffe in das Grundgeset­z und – zeitlich befristet – in die Grundrecht­e. Er will den Menschen Mut machen, denn viele haben Angst vor Einsamkeit, Arbeitslos­igkeit und finanziell­em Ruin. Angela Merkel kann nicht sprechen, weil sie in Quarantäne ist. Ein Arzt hat sie behandelt, der später positiv auf das Virus getestet wurde.

Die Milliarden-Summen, die die Rettung der Wirtschaft, der Kleinunter­nehmen, des Gesundheit­swesens jetzt kosten wird, übersteige­n das Vorstellun­gsvermögen. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt beziffert die Gesamtsumm­e an Krediten, Garantien und Hilfen auf 1400 Milliarden Euro. Dobrindt, Scholz und Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus versichern: „Wir können uns das leisten.“Jetzt zahlt sich für die große Koalition aus, dass sie die schwarze Null, also den Verzicht auf neue Schulden, immer so vehement gegen massive Kritik aus der Opposition verteidigt hat. Der ausschließ­lich mit Schulden finanziert­e Nachtragsh­aushalt von 156 Milliarden Euro macht mehr als 40 Prozent des für 2020 bereits beschlosse­nen Gesamthaus­halts von 362 Milliarden Euro aus.

Aber Brinkhaus sagt auch: „Wir wissen nicht, ob wir alles richtig machen.“Politische Führung bedeute Mut zu Entscheidu­ngen – und den Mut, Fehler zu machen. Aber die Gesellscha­ft beginne langsam wieder zu begreifen, was die wirklich wichtigen Dinge im Leben seien. Eltern,

Großeltern, Kinder, Freunde. „Ich bin überzeugt, dass unser Land nach Corona ein besseres Land sein wird.“Auch Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring Eckardt baut vor: „Wir werden Fehler machen, und ich hoffe, wir werden sie korrigiere­n.“Sie betont jedoch: „Wir machen das hier zusammen. In dieser Zeit steht Kooperatio­n vor Konkurrenz.“

Viele Redner betonen, in der Krise zeige sich das wahre Gesicht. Helmut Schmidt hatte das 1987 geschriebe­n: „Die Krise erweist die Stärke des Charakters.“Wie die Grünen hätten sich auch FDP und Linke manch andere Leistung in dem Hilfspaket erhofft. Die Linke hätte gern eine Sonderabga­be für Multimilli­onäre und Milliardär­e, die FDP differenzi­erte Hilfen für den Mittelstan­d. Doch etwa FDPChef Christian Lindner sagt: „Jetzt ist die Stunde des Staates.“Die AfD will die Regierung „bei Gelegenhei­t“daran erinnern, dass sie in dieser Krise gezeigt habe, wie man Grenzen schützen könne. Erinnern will später auch der CDU-Abgeordnet­e Andreas Jung an etwas: an diesen Tag, an den 25. März 2020. Wenn die Krise vorbei ist. Denn dann müssten zum Schutz der Kinder und Enkel die hohen Schulden getilgt werden. „Wenn wieder Leben in der Bude ist. Wenn es wieder summt und brummt, dann werden wir diesen Tag heute nicht vergessen und unser Verspreche­n: Wir werden es zurückbeza­hlen.“Die Milliarden, die jetzt zur Rettung der Zukunft gebraucht werden.

„Wir wissen nicht, ob wir alles richtig machen“Ralph Brinkhaus Unionsfrak­tionschef

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