Bis wieder „Leben in der Bude“ist
Es ist eine historische Sitzung im Bundestag, aber die Stimmung ist gedrückt.
BERLIN Nichts ist wie sonst. Keine zeitraubende Schlange am Eingang, kein dichtes Gedränge im Fahrstuhl, keine fröhlichen Besuchergruppen, kein heftiger Schlagabtausch der Abgeordneten. An den Garderoben hängen an diesem eiskalten Mittwochmorgen im März auch keine Jacken, und auf den Tribünen und im Plenum ist abschnittsweise Leere verordnet. Im Saal darf nur der kleinere Teil der 709 Abgeordneten sitzen, mindestens zwei Stühle müssen zwischen den Politikern frei bleiben. Wer dort normalerweise sitzt, muss die Debatte von außen verfolgen. Soziale Distanz, Abstand halten. Das Land ist im Ausnahmezustand, und sein Parlament spiegelt das wider. Vizekanzler Olaf Scholz spricht von einer „schicksalhaften Herausforderung für die ganze Menschheit“. Die Sitzung ist historisch, die Stimmung gedrückt. Der Bundestag in Zeiten von Corona.
Dazu gehört, dass Scholz und nicht die Bundeskanzlerin die einleitende Rede hält; er erläutert das bisher größte Rettungspaket seit dem Zweiten Weltkrieg inklusive gravierender Eingriffe in das Grundgesetz und – zeitlich befristet – in die Grundrechte. Er will den Menschen Mut machen, denn viele haben Angst vor Einsamkeit, Arbeitslosigkeit und finanziellem Ruin. Angela Merkel kann nicht sprechen, weil sie in Quarantäne ist. Ein Arzt hat sie behandelt, der später positiv auf das Virus getestet wurde.
Die Milliarden-Summen, die die Rettung der Wirtschaft, der Kleinunternehmen, des Gesundheitswesens jetzt kosten wird, übersteigen das Vorstellungsvermögen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt beziffert die Gesamtsumme an Krediten, Garantien und Hilfen auf 1400 Milliarden Euro. Dobrindt, Scholz und Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus versichern: „Wir können uns das leisten.“Jetzt zahlt sich für die große Koalition aus, dass sie die schwarze Null, also den Verzicht auf neue Schulden, immer so vehement gegen massive Kritik aus der Opposition verteidigt hat. Der ausschließlich mit Schulden finanzierte Nachtragshaushalt von 156 Milliarden Euro macht mehr als 40 Prozent des für 2020 bereits beschlossenen Gesamthaushalts von 362 Milliarden Euro aus.
Aber Brinkhaus sagt auch: „Wir wissen nicht, ob wir alles richtig machen.“Politische Führung bedeute Mut zu Entscheidungen – und den Mut, Fehler zu machen. Aber die Gesellschaft beginne langsam wieder zu begreifen, was die wirklich wichtigen Dinge im Leben seien. Eltern,
Großeltern, Kinder, Freunde. „Ich bin überzeugt, dass unser Land nach Corona ein besseres Land sein wird.“Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring Eckardt baut vor: „Wir werden Fehler machen, und ich hoffe, wir werden sie korrigieren.“Sie betont jedoch: „Wir machen das hier zusammen. In dieser Zeit steht Kooperation vor Konkurrenz.“
Viele Redner betonen, in der Krise zeige sich das wahre Gesicht. Helmut Schmidt hatte das 1987 geschrieben: „Die Krise erweist die Stärke des Charakters.“Wie die Grünen hätten sich auch FDP und Linke manch andere Leistung in dem Hilfspaket erhofft. Die Linke hätte gern eine Sonderabgabe für Multimillionäre und Milliardäre, die FDP differenzierte Hilfen für den Mittelstand. Doch etwa FDPChef Christian Lindner sagt: „Jetzt ist die Stunde des Staates.“Die AfD will die Regierung „bei Gelegenheit“daran erinnern, dass sie in dieser Krise gezeigt habe, wie man Grenzen schützen könne. Erinnern will später auch der CDU-Abgeordnete Andreas Jung an etwas: an diesen Tag, an den 25. März 2020. Wenn die Krise vorbei ist. Denn dann müssten zum Schutz der Kinder und Enkel die hohen Schulden getilgt werden. „Wenn wieder Leben in der Bude ist. Wenn es wieder summt und brummt, dann werden wir diesen Tag heute nicht vergessen und unser Versprechen: Wir werden es zurückbezahlen.“Die Milliarden, die jetzt zur Rettung der Zukunft gebraucht werden.
„Wir wissen nicht, ob wir alles richtig machen“Ralph Brinkhaus Unionsfraktionschef