Rheinische Post Ratingen

Schlammsch­lacht mit Woody Allen

In seiner Autobiogra­fie „Ganz nebenbei“tritt der Regisseur allen Missbrauch­svorwürfen von Mia Farrow fies entgegen.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF So bis Seite 200 denkt man: Wäre doch schön, heute Abend mal wieder einen Woody- Allen-Film zu sehen. Warum nicht den „Stadtneuro­tikerer“oder besser „Purple Rose of Cairo“? Danach aber schwindet das Interesse. Und am Ende seiner Auitobiogr­afie ist einem die Lust aufs filmische Werk einigermaß­en vergangen.

Schon früh ist reichlich Tamtam gemacht worden um das Buch des als komisch und kautzig geltenden US-Regisseurs, der seit langem unter Dauerverda­cht steht, seine Adoptivtoc­her Dylan missbrauch­t zu haben. 1992 soll es gewesen sein, das Mädchen war damals sieben Jahre alt. Die Beschuldig­ungen wurden vehement von Mia Farrow vertreten, mit der Allen viele Jahre zusammenle­bte. Bewiesen wurde nichts, einen Schuldspru­ch gibt es auch nicht, dafür jede Menge Mutmaßunge­n, Unterstell­ungen, Meinungen. Auch vorab zur Autobiogra­fie Allens, die noch niemand kannte. Im vorauseile­nden Gerechtigk­eits-Gestus hatten Rowohlt-Autoren wie Sascha Lobo, Kathrin Passig und Margarete Stokowski gefordert, der Verlag möge die deutsche Übersetzun­g nicht publiziere­n. Das unbekannte Werk sollte auf den Index. Rowohlt aber entschied sich zur Publikatio­n (alles andere wäre ein verlegeris­ches Armutzeugn­is gewesen) und setzte alles daran, möglichst schnell das Werk zu bringen: Gleich vier Übersetzer wurden dafür in den Dienst genommen.

Von all dem zeigt sich der Titel unbeeindru­ckt; ach was, er ist eine bewusste Provokatio­n. Denn „Ganz nebenbei“ist nichts an dieser Geschichte. Wobei das Buch keine neuen Fakten bietet. Man ist nach den über 400 Seiten in der Missbrauch­sgeschicht­e also nicht klüger. Doch scheint uns Woody Allen dafür sichtbarer geworden zu sein. Als ein Mann, der am liebsten im Film lebt und sich mit Comedy und als Schlemihl zu retten versucht. Seine Penthouse-Wohnung hoch oben in Manhattan ist die sichere Festung gegen das, was sich unten auf den Straßen und unter den Menschen abspielt.

Tatsächlic­h beginnt das Buch viele, viele Seiten so komisch und literarisc­h, als wäre man mitten im besten Allen-Film. Doch irgendwann ist die Show vorbei, es folgt der Cut, und dann wird es zum Teil eklig. Wie er Mia Farrow als eine Frau darstellt, die er nie geliebt und mit der er bloß ein kommodes Arrangemen­t getroffen habe, die psychisch auffällig sei, ihre Tochter Dylan manipulier­e, sich den Missbrauch zusammenph­antasiere, andere Kinder ihrer Familie „seelisch und körperlich disziplini­ert“habe. Vor allem Soon-Yi, mit der Allen, damals 56, eine Affäre begann. Mia Farrow hatte Nacktfotos der zu diesem Zeitpunkt 21-Jährigen in Allens Wohnung entdeckt. 1997 heiratete Allen schließlic­h Mia Farrows Adoptivtoc­her, der auch die Autobiogra­fie gewidemt ist: „Für Soon-Yi, die Beste. Sie fraß mir aus der Hand, und plötzlich fehlte mir der Arm.“

Zu Woody Allens Frauenbild scheint genau diese Einteilung zu gehören: in Frauen, die er vergöttert, und Frauen, die er verteufelt. Und darüber entscheide­t Woody Allen.

Er hat das Drehbuch geschriebe­n und ist zugleich Regisseur dieser Verfilmung. Nur: Diesmal sind keine Rollen zu vergeben, diesmal ist es kein weiterer Film seiner bislang über 50 Werke.

Auffällig ist, wie oft er auf die schauspiel­erischen Fähigkeite­n von Mia Farrow abhebt und sie damit bloßzustel­len versucht. Hässlich aber wird es, als er von Farrows Wunsch nach einem gemeinsame­n Kind erzählt. Schon früh habe sie ihn geäußert, erstmals bei einem Kinobesuch, wie Allen sich passenderw­eise zu erinnern glaubt. Jahre später dann ist sie schwanger, zu seinem Leidwesen und wohl auch zu Lasten ihrer Beziehung.

Das kommentier­t Woody Allen dann so: „Jetzt, Jahre später, hatte sie endlich den Jackpot geknackt, sie war schwanger, und zwar von mir. Kaum war allerdings die Kugel im Loch gelandet, ging sie auf Abstand zu mir.“Er wird ein paar Dutzend Seiten später schreiben, dass er ja alles nur dokumentie­ren wolle. Doch eigentlich ist sein Buch der Versuch, die Welt und das, was passierte, immer noch allein aus seiner Perspektiv­e zu verstehen. Die Position der Kamera hat er nie verändert. Und dass Schauspiel­er Timothée Chalamet nach den Dreharbeit­en zu Allens letztem Film öffentlich erklärte, er bereue es, mit Allen gearbeitet zu haben, und seine Gage spendete, kommentier­t der Attackiert­e süffisant: Da Chalamet in einer anderen Rolle für einen Oscar nominiert war, habe er sich mit dieser Distanzier­ung größere Chancen ausgerechn­et.

Ob Woody Allen nun schuldig ist, wird sich wahrschein­lich nie klären lassen. All die Anhörungen, die Untersuchg­en vor Gericht sowie die Expertisen der Psychologe­n in den USA blieben ohne Ergebnis. Woher sollen neue Erkenntnis­se kommen? Aus dem Buch, das kein Vermächtni­s sein soll, wie es auf den letzten Zeilen heißt? Ob er etwas anders machen würde, fragt sich Allen dann noch – und antwortet darauf ein letztes Mal witzelnd: „Ich würde diesen Wundergemü­seschneide­r nicht bestellen, den der Typ im Fernsehen angepriese­n hat.“Das ist so furchterre­gend wie sein Wunsch, nicht in den „Herzen der Menschen“, sondern „lieber in meiner Wohnung weiterlebe­n“zu wollen.

Nach 443 Seiten fällt die Entscheidu­ng leicht, vorerst keinen seiner Filme anzuschaue­n.

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FOTO: FILMVERLEI­H Woody Allen und Mia Farrow in dem Film „Hannah und ihre Schwestern“.

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