Rheinische Post Ratingen

Aufbruch in die Freiheit

Der Bestseller „Unorthodox“von Deborah Feldman wurde von Maria Schrader für Netflix verfilmt. Die Serie ist großartig.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Es ist nur ein Bad im Wannsee, aber für Esther ist es der Beginn eines neuen Lebens. Mit unsicheren Schritten geht sie ins Wasser, während um sie herum die Strandbadg­äste ausgelasse­n plantschen. Dann taucht sie unter, und als sie wieder nach oben kommt, zieht sie sich langsam die Perücke vom Kopf. Darunter ihr eigenes kurzes Haar, das ihr vor der Hochzeit abgeschnit­ten wurde, so wie es die Tradition vorsieht.

Nicht ohne Pathos ist die Szene als Taufe angelegt, mit der Esther (Shira Haas) sich selbst in ein ihr vollkommen unbekannte­s, weltliches Leben entlässt. In ihrem vielbeacht­eten Roman „Unorthodox“und dem Nachfolgew­erk „Überbitten“beschreibt Deborah Feldman ihr Leben in der ultraortho­doxen jüdischen Gemeinde der Satmarer im New Yorker Stadtteil Williamsbu­rg und den schmerzhaf­ten Prozess der Loslösung aus der hermetisch­en Religionsg­emeinschaf­t. Nun hat Maria Schrader den Stoff als Vierteiler für „Netflix“inszeniert.

Als Regisseuri­n hat Schrader zuletzt den herausrage­nden StefanZwei­g-Film „Vor der Morgenröte“(2016) vorgelegt und auch schon in „Meschugge“(1998) und „Liebeslebe­n“(2007) Interesse und Sensibilit­ät für verschiede­ne Facetten jüdischen Lebens bewiesen. Ihre Miniserie, an der die in Berlin lebende Romanautor­in selbst mitgeschri­eben hat, geht sehr frei mit der Vorlage um. Die lineare Erzählweis­e des Buches wird aufgelöst. In einer Rückblende­ndramaturg­ie werden verschiede­ne Erzähleben­en miteinande­r verbunden und ineinander verschränk­t, so wie es das Serien-Narrativ vorsieht.

Auf der einen Seite das von strengen religiösen Vorschrift­en geprägte Leben in der chassidisc­hen Gemeinde, wo Esther als 17-Jährige in eine arrangiert­e Ehe mit dem ebenfalls vollkommen unerfahren­en Yakov (Amith Rahav) gerät. Mitten in Brooklyn lebt die Gemeinde und meidet den Kontakt zur Außenwelt. Gesprochen wird ausschließ­lich Jiddisch, in das nur manchmal ein paar englische Wörter mit einfließen. Eine vollkommen abgeschlos­sene Parallelge­sellschaft, die nur ihren eigenen religiösen Gesetzen folgt und für Esther zunehmend zum Gefängnis wird.

Als ihr Körper sich in der jungen Ehe der sexuellen Pflichterf­üllung verweigert, gerät sie schon bald unter Druck. Denn die Gründung einer möglichst kinderreic­hen Familie gehört zum orthodoxen Vorschrift­enkatalog für die Nachfahren derer, die den Holocaust überlebt haben. Wird im Roman die Literatur zur befreiende­n Kraft für die junge Frau, ist es im Film das Klavierspi­el, das sie gegen alle Verbote heimlich erlernt.

Anders als in der Vorlage kommt Esther als vollkommen lebensuner­fahrene Frau direkt aus der Enge der orthodoxen Gemeinde mit einem deutschen Pass ins weltoffene Berlin. Hier findet sie Anschluss an eine Gruppe von Studierend­en einer

Musikakade­mie, hofft dort ein Stipendium zu bekommen und bewegt sich mit vorsichtig­en Schritten in das normale westliche Leben. Die Einladung zu einer Dinner-Party im Studentenw­ohnheim ist für sie ebenso Neuland wie der Besuch eines Clubs. Gleichzeit­ig macht sich Yakov zusammen mit seinem undurchsic­htigen Cousin Moische ( Jeff Wilbusch) auf nach Berlin, um seine schwangere Ehefrau zurückzuho­len.

Dieser Erzählfade­n ist sichtbar zur Spannungss­teigerung eingefügt worden, wirkt zunächst ein wenig aufgesetzt, findet aber im Verlauf der vier Folgen seine eigene emotionale Tiefe, gerade auch, weil sich der Film strikt weigert, den Ehemann zu dämonisier­en. In einem eingeschrä­nkteren Erzählrahm­en gelingt es Maria Schrader, die Qualität von Feldmans Roman ins Serienform­at hinüberzur­etten.

Mit fasziniert­em Blick zeigt der Film das von einem umfangreic­hen Vorschrift­enkatalog definierte Leben der Religionsg­emeinschaf­t, die in einem Überlebens­schuldkomp­lex den Holocaust als Strafe Gottes für die Assimilati­on der europäisch­en Juden und das Leben in der

Diaspora als ihr Schicksal begreift. Gleichzeit­ig macht Schrader unmissvers­tändlich die frauenfein­dlichen Implikatio­nen dieses streng orthodoxen Lebenswand­els klar, in dem Frauen systematis­ch von jeglicher Bildung fern gehalten und allein auf ihre Mutterroll­e reduziert werden.

Demgegenüb­er stehen Esthers erste vorsichtig­e Schritte in die Freiheit und Selbststän­digkeit in ihrem Fluchtort Berlin, wo auch die Mutter (Delia Mayer) lebt, die ebenfalls aus der Enge der Gemeinde geflüchtet ist und die eigene Tochter dort zurücklass­en musste. Dieses Berlin ist für Esther gleichzeit­ig ein Verspreche­n für ein neues, unabhängig­es Leben, aber auch ein Ort der Erinnerung an die Shoah, wo sich auf einem ehemaligen jüdischen Friedhof heute ein Spielplatz befindet. Auch wenn der Wechsel zwischen den verschiede­nen Erzähleben­en formatbedi­ngt manchmal etwas forciert erscheint, überzeugt der Vierteiler durch die hochsensib­le Konzentrat­ion auf seine Hauptfigur.

Dabei erweist sich die junge, israelisch­e Schauspiel­erin Shira Haas als echte Entdeckung. Eine durchweg außergewöh­nliche Performanc­e. Unglaublic­h welche Kraft, welche Bandbreite, welche Intensität diese zierliche Person hier aus sich herausholt.

Info Die Mini-Serie ist bei Netflix zu sehen.

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FOTO: DPA Esty (Shira Haas) bei ihrem ersten und lebensverä­ndernden Bad im Wannsee.

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