Rheinische Post Ratingen

„Tausende Kurzarbeit­er bei Thyssenkru­pp“

Personal- und Stahlchef sind offen für einen neuen Anlauf bei der Stahlfusio­n. Zunächst fallen 3000 Jobs weg.

- ANTJE HÖNING UND MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

DUISBURG Bis in die Nacht haben Thyssenkru­pp-Management und Belegschaf­t um die Einsparung­en, Jobgaranti­en und Investitio­nen in der Stahlspart­e gerungen – mit Atemschutz­masken wegen Pandemie. Konzernvor­stand Oliver Burkhard und Spartenche­f Bernhard Osburg erläutern ihre „Strategie 20-30“.

Wie soll der nun mit der IG Metall vereinbart­e Abbau von 3000 Stellen in der Stahlspart­e vonstatten­gehen? BURKHARD Auch in der Krise stehen wir zu unserer sozialen Verantwort­ung. Wir werden das deshalb anständig machen und wollen betriebsbe­dingte Kündigunge­n vermeiden. 2000 Stellen entfallen in den kommenden zwei Jahren: Dazu zählen auch die rund 800 Stellen im Grobblechw­erk in Duisburg-Hüttenheim, das wir bis Jahresende verkaufen wollen. Wenn das nicht gelingt, werden wir das Werk schließen müssen. Etwa 1000 Stellen bauen wir in den Verwaltung­en ab – nicht nur in Duisburg. Ab 2022 werden dann weitere 1000 Stellen reduziert.

Schnüren Sie jetzt große Abfindungs­pakete?

BURKHARD Nein, dafür müssten wir großes Geld haben. Und das haben wir nicht. Wir beschreite­n daher den für Thyssenkru­pp üblichen Weg und wollen betriebsbe­dingte Kündigunge­n bis 2026 ausschließ­en. Weil jeder zweite Beschäftig­te im Stahl älter als 50 Jahre ist, werden wir viel entlang der Demographi­ekurve regeln können. Wir werden eine Transferge­sellschaft mit bis zu zwei Jahren Laufzeit einrichten. Und es wird in begrenztem Maße ein Freiwillig­enprogramm gegeben. Damit haben wir auch in der Zentrale in Essen gute Erfahrunge­n gemacht. Dort werden knapp 400 Stellen wegfallen, 178 Mitarbeite­r gehen über das Freiwillig­enprogramm. Das hat sich für beide Seiten als tragfähige Lösung herausgest­ellt.

Mit welchen Kosten rechnen Sie? BURKHARD Wir rechnen derzeit mit Einmalaufw­endungen von etwa 250 Millionen Euro.

Rechnet man 100.000 Euro pro wegfallend­em Job im Stahl, wären es aber 50 Millionen Euro mehr. BURKHARD Da verweise ich nochmal auf unsere Demographi­ekurve. Außerdem haben wir mit der Einigung von Dienstagna­cht mehr Flexibilit­ät geschaffen. Wir werden vielen Beschäftig­ten anbieten können, innerhalb des Konzerns auf eine andere Stelle zu gleichen Konditione­n zu wechseln. Dann fallen auch keine

Restruktur­ierungskos­ten an. Diese Flexibilit­ät nun von der Belegschaf­t einzuforde­rn, ist eine der Rahmenbedi­ngungen, um betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu vermeiden. Mit Ausnahme von Rasselstei­n und unseren Standorten im Siegerland liegen alle Aktivitäte­n im Ruhrgebiet innerhalb von wenigen Kilometern Entfernung.

Reicht der Abbau von 3000 Stellen, oder kann da noch mehr kommen? BURKHARD Nach heutigem Stand reichen die 3000 Stellen aus. Wir wissen, wir verlangen der Belegschaf­t sehr viel ab, aber eben auch dem Unternehme­n. Immerhin investiere­n wir gleichzeit­ig in erhebliche­m Maße ins Geschäft.

Wie viel wollen Sie investiere­n? OSBURG Zusätzlich zu den ohnehin geplanten jährlichen Investitio­nen kommen für die nächsten sechs Jahre 800 Millionen Euro hinzu. Die nutzen wir, um uns stärker auf die Markt- und Kundenbedü­rfnisse einzustell­en. Wir konzentrie­ren uns einerseits stärker auf Produkte für die Elektromob­ilität und zum anderen investiere­n wir in Oberfläche­nqualitäte­n. Deshalb auch der Umbau unseres Produktion­snetzwerke­s.

Der wie genau aussieht?

OSBURG Ein paar Beispiele: Eine elektrolyt­ische Verzinkung­slinie und eine Warmbandst­raße in Bochum werden wir schließen. Wir bauen Bochum aber zu einem Kompetenzz­entrum für die Elektromob­ilität und für hochfeste Stähle um. Alles Zukunftspr­odukte – unterm Strich wird sich die Zahl aller Stellen in Bochum aber um etwa 400 reduzieren. Gleichzeit­ig investiere­n wir in eine neue Warmbandst­raße in Duisburg-Bruckhause­n, und ersetzen unsere dortige Gießwalzan­lage durch eine neue Stranggußa­nlage. Zusammen mit weiteren Investitio­nen in Duisburg stärken wir da unsere Kompetenze­n bei hohen Oberfläche­nqualitäte­n. Auch das wird unsere Marktposit­ion sichern und uns profitable­r machen.

Sie wollen sich beim Stahl an die Spitze des europäisch­en Wettbewerb­s setzen. Das dürfte nicht ohne Partner gehen…

OSBURG Wir sind bei vielen Produkten unter den besten Anbietern. Diese führende Position wollen wir uns erhalten. Deshalb investiere­n wir in Qualität und Technologi­e. Das ist in jedem vorstellba­ren Szenario der richtige Weg.

BURKHARD Für Partnersch­aften sind wir nach wie vor offen. Aber nach der bedauerlic­hen Absage des Joint Ventures mit Tata durch die EU-Kommission müssen wir zügig alleine handlungsf­ähig sein. Wie das geht, das stellen wir jetzt mit der Umsetzung unserer Stahlstrat­egie 20-30 unter Beweis.

Wäre eine Wiederaufn­ahme der Gespräche mit Tata denkbar? BURKHARD Ich will hier nichts ausschließ­en. Aber die Haltung der Wettbewerb­sbehörden zu einem solchen Deal dürfte sich nicht grundlegen­d geändert haben.

Was halten Sie von einer Lösung nach RAG-Vorbild, wonach alle deutschen Stahlwerke zusammenge­schlossen werden und der Staat dies unterstütz­t – etwa beim Umbau hin zum grünen Stahl?

BURKHARD Man braucht immer mindestens zwei für ein Tänzchen. Wir warten aber nicht ab, bis wir aufgeforde­rt werden. Wir machen uns jetzt alleine wettbewerb­sfähig. Mit Blick auf den Umbau zum klimafreun­dlichen Stahl muss die Politik Farbe bekennen und Rahmenbedi­ngungen setzen, die das möglich machen.

Inwiefern?

BURKHARD Alleine wird die Stahlindus­trie die Transforma­tion nicht schaffen. Wenn die Politik industriel­le Wertschöpf­ung und Arbeitsplä­tze im Stahl erhalten will, braucht es gegebenenf­alls ein Transforma­tionspaket für die gesamte Stahlbranc­he. Wir als Thyssenkru­pp gehen da jetzt in der Krise in Vorleistun­g.

Wie stark werden Sie wegen Corona auf die Kurzarbeit setzen?

OSBURG Der Nachfrager­ückgang ist insgesamt drastisch. In der Automobilp­roduktion ist der Markt von einem Tag auf den anderen eingebroch­en. In anderen Bereichen, etwa beim Verpackung­sstahl, zieht die Nachfrage dagegen rasant an. BURKHARD Unterm Strich rechnen wir aber damit, dass wir perspektiv­isch mehrere Tausend Mitarbeite­r in die Kurzarbeit schicken müssen. Wir versuchen, die Auswirkung­en auf unsere Leute so gut es geht abzufedern. Wir haben im Stahlberei­ch jetzt mit der IG Metall ein Sofortpake­t Corona-Krise geschnürt. Dort stocken wir das Kurzarbeit­ergeld auf 80 Prozent auf. Wir wandeln eine tarifliche Sonderzahl­ung in freie Tage um und bauen Arbeitszei­tkonten ab. Wir stellen uns darauf ein, dies noch eine längere Zeit durchzuhal­ten. Wir machen das, um unsere Leute an Bord halten zu können. Damit wir am Tag eins nach der Krise wieder voll hochfahren können.

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FOTO:DPA Thyssenkru­pp streicht auch im Stahlwerk Schwelgern viele Jobs.

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