Als Bayern und Gladbach sich die Titel teilten
DÜSSELDORF In Woodstock feiern die Hippies ihr größtes Musikfest. Und auch in der Bundesliga sind die Haare länger geworden. Fußballspieler werden zu Stars, die Fankurven werden bunter. Und 1969 ist das Jahr, in dem zwei Teams damit beginnen, sich die Titel zu teilen.
Borussia Mönchengladbach und der FC Bayern München sind vier Jahre zuvor in die erste Liga aufgestiegen. Und sie mischen die Bundesliga so richtig auf. Zunächst vor allem die Bayern. Sie haben bereits den DFB-Pokal und den Europapokal der Pokalsieger gewonnen, als sie 1969 zum ersten Mal in der Bundesliga deutscher Meister werden. Ihr neuer Trainer, der Jugoslawe Branko Zebec, bringt den jungen Feingeistern um die kommenden Weltstars Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier genau die Zielstrebigkeit und Ausdauer bei, die es für Meisterschaften braucht.
Aber der Rivale vom Niederrhein schlägt zurück. Coach Hennes Weisweiler soll vor der nächsten Spielzeit gedroht haben: „Entweder wir werden Meister, oder ich bin weg.“Das ist seinem Team ein Befehl. Die Borussia aus dem kleinen Gladbach holt sich den Titel und verteidigt ihn ein Jahr darauf. Das hat es auch noch nicht gegeben.
Die Gladbacher sind der glatte Gegenentwurf zum Spiel der Bayern, das dosierter daherkommt und auch deshalb häufig effektiver ist. Gesellschaftswissenschaftler entdecken diesen Gegensatz für ihre Diskussionen. Sie sehen einen Kampf der Systeme, wie er so typisch ist für die 1970er Jahre. Für die Professoren verkörpern die Gladbacher mit ihrem langhaarigen Anführer Netzer die Rebellion, den Aufstand gegen das Establishment, während die Bayern gerade für das Establishment stehen. Netzer hält derartige Debatten schon damals für Unsinn, mit Politik habe sein Spiel nichts zu tun, sagt er. Und auf Münchner Seite bewirbt sich Paul Breitner mit einem Lockenkopf wie aus einer „Hair“-Inszenierung und Fotos, auf denen er die Mao-Bibel zeigt, um den Ruf des Revolutionärs. Auch das gehört aber lediglich zur Show, der Fußball ist im Bereich der Unterhaltungsindustrie angekommen.
Um bunter zu werden, muss er durch ein dunkles Tal. Im Bundesliga-Skandal 1971 werden Spiele im Abstiegskampf verschoben, eine hochtalentierte Schalker Mannschaft leistet sich den tiefsten Sündenfall. Sie zerbricht schließlich an den Folgen, an Sperren und Gerichtsurteilen. Die tragische Figur ist Reinhard „Stan“Libuda, ein genialer Dribbler, aber auch ein sehr einfacher Mann, den geschäftlicher Misserfolg und schwere Krankheiten früh ins Grab bringen.
Ausgerechnet die Zeit nach dem Skandal ist eine Blütezeit des deutschen (Bundesliga-)Fußballs. Gladbach und Bayern treiben sich gegenseitig zu Höchstleistungen an. Sie gewinnen Europapokale. Und gemeinsam bilden sie das Gerüst der Nationalmannschaft, die den Weltfußball prägt. 1972 wird eine der spielerisch besten Mannschaften aller Zeiten Europameister, Netzer und Beckenbauer bestimmen ihren Rhythmus, Müller schießt die Tore. 1974 wird Deutschland Weltmeister, aber der ganz große Glanz ist bereits dahin. Es ist wie in der Bundesliga. Gladbach verordnet sich einen Schuss Sachlichkeit und wird damit drei Jahre in Folge Meister (1975 bis 1977). Danach nie wieder. Die Bayern müssen sich nach dem Abgang von Beckenbauer, Müller, Maier und Breitner durch eine Delle quälen. Sie kommen erst in den 1980ern wieder nach oben. Aber wie.