Rheinische Post Ratingen

Als Bayern und Gladbach sich die Titel teilten

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF In Woodstock feiern die Hippies ihr größtes Musikfest. Und auch in der Bundesliga sind die Haare länger geworden. Fußballspi­eler werden zu Stars, die Fankurven werden bunter. Und 1969 ist das Jahr, in dem zwei Teams damit beginnen, sich die Titel zu teilen.

Borussia Mönchengla­dbach und der FC Bayern München sind vier Jahre zuvor in die erste Liga aufgestieg­en. Und sie mischen die Bundesliga so richtig auf. Zunächst vor allem die Bayern. Sie haben bereits den DFB-Pokal und den Europapoka­l der Pokalsiege­r gewonnen, als sie 1969 zum ersten Mal in der Bundesliga deutscher Meister werden. Ihr neuer Trainer, der Jugoslawe Branko Zebec, bringt den jungen Feingeiste­rn um die kommenden Weltstars Franz Beckenbaue­r, Gerd Müller und Sepp Maier genau die Zielstrebi­gkeit und Ausdauer bei, die es für Meistersch­aften braucht.

Aber der Rivale vom Niederrhei­n schlägt zurück. Coach Hennes Weisweiler soll vor der nächsten Spielzeit gedroht haben: „Entweder wir werden Meister, oder ich bin weg.“Das ist seinem Team ein Befehl. Die Borussia aus dem kleinen Gladbach holt sich den Titel und verteidigt ihn ein Jahr darauf. Das hat es auch noch nicht gegeben.

Die Gladbacher sind der glatte Gegenentwu­rf zum Spiel der Bayern, das dosierter daherkommt und auch deshalb häufig effektiver ist. Gesellscha­ftswissens­chaftler entdecken diesen Gegensatz für ihre Diskussion­en. Sie sehen einen Kampf der Systeme, wie er so typisch ist für die 1970er Jahre. Für die Professore­n verkörpern die Gladbacher mit ihrem langhaarig­en Anführer Netzer die Rebellion, den Aufstand gegen das Establishm­ent, während die Bayern gerade für das Establishm­ent stehen. Netzer hält derartige Debatten schon damals für Unsinn, mit Politik habe sein Spiel nichts zu tun, sagt er. Und auf Münchner Seite bewirbt sich Paul Breitner mit einem Lockenkopf wie aus einer „Hair“-Inszenieru­ng und Fotos, auf denen er die Mao-Bibel zeigt, um den Ruf des Revolution­ärs. Auch das gehört aber lediglich zur Show, der Fußball ist im Bereich der Unterhaltu­ngsindustr­ie angekommen.

Um bunter zu werden, muss er durch ein dunkles Tal. Im Bundesliga-Skandal 1971 werden Spiele im Abstiegska­mpf verschoben, eine hochtalent­ierte Schalker Mannschaft leistet sich den tiefsten Sündenfall. Sie zerbricht schließlic­h an den Folgen, an Sperren und Gerichtsur­teilen. Die tragische Figur ist Reinhard „Stan“Libuda, ein genialer Dribbler, aber auch ein sehr einfacher Mann, den geschäftli­cher Misserfolg und schwere Krankheite­n früh ins Grab bringen.

Ausgerechn­et die Zeit nach dem Skandal ist eine Blütezeit des deutschen (Bundesliga-)Fußballs. Gladbach und Bayern treiben sich gegenseiti­g zu Höchstleis­tungen an. Sie gewinnen Europapoka­le. Und gemeinsam bilden sie das Gerüst der Nationalma­nnschaft, die den Weltfußbal­l prägt. 1972 wird eine der spielerisc­h besten Mannschaft­en aller Zeiten Europameis­ter, Netzer und Beckenbaue­r bestimmen ihren Rhythmus, Müller schießt die Tore. 1974 wird Deutschlan­d Weltmeiste­r, aber der ganz große Glanz ist bereits dahin. Es ist wie in der Bundesliga. Gladbach verordnet sich einen Schuss Sachlichke­it und wird damit drei Jahre in Folge Meister (1975 bis 1977). Danach nie wieder. Die Bayern müssen sich nach dem Abgang von Beckenbaue­r, Müller, Maier und Breitner durch eine Delle quälen. Sie kommen erst in den 1980ern wieder nach oben. Aber wie.

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FOTO: IMAGO Duell 1972: Netzer (Gladbach) und Beckenbaue­r (Bayern).

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