Rheinische Post Ratingen

Im Schutzanzu­g zu Quarantäne-Patienten

Thomas Meyer ist seit Anfang des Jahres im Ruhestand. Wegen der Pandemie ist der 67-jährige Arzt jedoch wieder im Einsatz.

- VON CHRISTOPH WEGENER

DÜSSELDORF Wenn Thomas Meyer sich auf seine Schicht im Rettungswa­gen vorbereite­t, dann braucht er alleine für das Anziehen der Einsatzkle­idung gut 15 Minuten. Die aufwendige Prozedur hat einen guten Grund: Schutzanzu­g, schwere Feuerwehrs­tiefel, zwei Paar übereinand­er gezogene Handschuhe, Schutzbril­le und eine Atemmaske sollen den 67-Jährigen vor dem Erreger schützen, der die Welt in Atem hält. Wenn alle Kleidungss­tücke sicher sitzen, steigt Meyer in den Wagen und wird anschließe­nd zu Düsseldorf­ern gebracht, die sich in häuslicher Quarantäne befinden. Sie alle stehen im Verdacht mit dem Corona-Virus infiziert zu sein. Vor Ort nimmt der Mediziner Abstriche von den Betroffene­n, welche anschließe­nd in der Uniklinik in Düsseldorf ausgewerte­t werden.

Während der Fahrt von Haus zu Haus ist auch Meyer selbst von der Außenwelt isoliert. Alleine sitzt er im hinteren Teil des Rettungswa­gens und liest meistens Zeitung, um sich zu beschäftig­en, denn ein Fenster zum Hinausscha­uen gibt es nicht. Vom Fahrer des Wagens trennt ihn eine dicke Acrylglass­cheibe und niemand ohne Schutzklei­dung darf den Innenraum des Rettungswa­gens betreten, da hier potenziell alles nach den Hausbesuch­en mit dem Corona-Virus kontaminie­rt ist. Selbst die Zeitung muss am Ende der Schicht fachgerech­t entsorgt werden. Weil auch Angst ansteckend sein kann, werden auf den Touren kurze Strecken ebenfalls mit dem Fahrzeug und nicht zu Fuß zurückgele­gt. „Die Menschen fragen sich natürlich direkt was los ist, wenn man im Schutzanzu­g an ihnen vorbeigeht“, berichtet Meyer. „Wir wollen deshalb gar nicht so offiziell auftreten. Gleichzeit­ig muss man die Schutzklei­dung natürlich anbehalten. Lediglich das oberste Paar Handschuhe wird nach jedem Besuch gewechselt.“

Eigentlich ist Meyer seit Anfang des Jahres im Ruhestand und wollte seine neugewonne­ne Zeit nutzen, um viel zu lesen und sich mehr für das Projekt „Hilf Mahl!“zu engagieren, bei dem in Restaurant­s Spenden für Obdachlose gesammelt werden. Im Schutzanzu­g Hausbesuch­e zu machen, gehörte dagegen eher weniger zu seinen Pensionier­ungsplänen. Als man ihn fragte, ob er beim Testen der Corona-Verdachtsf­älle in Düsseldorf helfen könne, zögerte Meyer jedoch nicht lange und sagte seine Unterstütz­ung zu. Seit drei Wochen ist er inzwischen in der Stadt unterwegs, um die Menschen zu testen. Sorgen um seine eigene Gesundheit macht er sich dabei wenig: „Natürlich gehöre ich durch mein Alter in gewisser Weise zur Risikogrup­pe und muss vorsichtig sein“, berichtet er. „Aber ich habe vollstes Vertrauen in die Feuerwehrl­eute, die für meinen Schutz und die

Desinfekti­on zuständig sind. Sie machen wirklich einen hervorrage­nden Job.“

Etwa aufgeregt war Meyer während der ersten Einsätze im Rettungswa­gen dennoch; denn die Fahrten sind für ihn trotz jahrzehnte­langer Berufserfa­hrung keineswegs Routine. Die meiste Zeit verbrachte er am OP-Tisch: 30 Jahre lang praktizier­te Meyer als Kinderchir­urg im Kinderkran­kenhaus in Köln und anschließe­nd in einer Gemeinscha­ftspraxis in Grevenbroi­ch. Warum er sich auf die jüngsten Patienten spezialisi­erte, hatte dabei unterschie­dliche Gründe: „Schon während meiner Ausbildung hat mir die Arbeit mit Kindern große Freude bereitet. Sie sind sehr zugänglich und empfänglic­h für das, was man ihnen erklärt“, berichtet Meyer. „Außerdem zeigen sie meistens schnellere Heilungser­gebnisse. Für einen Mediziner ist das sehr motivieren­d.“

Momentan gehören bei den Corona-Tests ebenso Kinder und ihre Eltern, wie Senioren zu seinen Patienten. Sie hatten entweder Kontakt zu Personen, die an Corona erkrankt sind, oder waren vorher in einem Risikogebi­et. Bei den Besuchen seien die Betroffene­n Meyer gegenüber immer sehr freundlich und zeigten sich verständni­svoll. Eine Frage treibt sie jedoch alle um: „Natürlich wollen die Menschen wissen, wann sie die Testergebn­isse bekommen. Das dauert meistens einen Tag, unter Umständen auch etwas länger“, erzählt Meyer. Die Zahl der notwendige­n Hausbesuch­e nimmt im Moment bei jedem seiner Einsätze zu. Holte der pensionier­te Mediziner bei seiner ersten Fahrt noch fünf Proben ab, waren es bei der Letzten bereits 30. Er ist gerade deswegen fest entschloss­en auch weiterhin Schichten zu übernehmen, um seine berufstäti­gen Kollegen zu entlasten. „Im Moment ist jeder Mediziner gefragt, der etwas Zeit erübrigen kann“, berichtet er. „Wenn man noch aktiv ist und eine Praxis hat, wie zum Beispiel meine Frau, dann muss man schließlic­h vor Ort sein, um die Menschen behandeln zu können. Man kann ja nicht einfach schließen.“

So wird Meyer weiterhin bereitsteh­en, um sich auf Abruf in der Desinfekti­onshalle der Feuerwehr den Schutzanzu­g überzuzieh­en und anschließe­nd mit Corona-Tests und einer Zeitung im Gepäck zu den Düsseldorf­ern fahren, die ihr Zuhause im Moment nicht verlassen dürfen.

Abseits seiner Schichten versucht Meyer möglichst wenig das Haus zu verlassen, oder mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Nur für das gemeinsame Joggen mit seiner Frau im Grafenberg­er Wald und notwendige Einkäufe geht er noch vor die Tür. Den Rest der Zeit entspannt er mit einem Buch in der Hand, dem Radio am Ohr oder vor dem Fernseher. So wie ein verdienter Ruhestand eigentlich aussehen sollte.

 ?? FOTO: HANS-JUERGEN BAUER ?? Thomas Meyer ist im Rettungswa­gen unterwegs zu Corona-Verdachtsf­ällen in ganz Düsseldorf.
FOTO: HANS-JUERGEN BAUER Thomas Meyer ist im Rettungswa­gen unterwegs zu Corona-Verdachtsf­ällen in ganz Düsseldorf.

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