Obdachlose sollen im Hotel schlafen
Menschen ohne festen Wohnsitz sind besonders von der Pandemie betroffen. Stadt und Hilfsverbände sind aktiv, aus der Bevölkerung kommt viel Solidarität. Allerdings gibt es auch Menschen, die einen Bogen um Obdachlose machen.
DÜSSELDORF Seit neun Monaten ist Markus obdachlos, „auf Platte“, wie er sagt. „Bei Wind und Wetter bin ich draußen“, erzählt der Düsseldorfer, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte. Er hatte gehofft, dass es im Frühling angenehmer wird; doch die Corona-Pandemie macht das Leben für Markus und die übrigen Menschen ohne Obdach zusätzlich schwer.
Die Stadt hat auf deren Notsituation reagiert. „Die Hilfseinrichtungen geben inzwischen täglich 600 Proviantpakete am Tag aus“, sagt Miriam Koch, Leiterin des Amtes für Migration und Integration, das in Düsseldorf auch für Wohnungs- und Obdachlose zuständig ist. Momentan laufen Verhandlungen, ein Hotel für Obdachlose anzumieten, in dem sie mit ausreichend Abstand und unter guten hygienischen Bedingungen übernachten können. „Wir wollen erreichen, dass sich in den Unterkünften maximal zwei Menschen ein Zimmer teilen müssen“, sagt Koch.
Das Frauenhaus „Ariadne“kann seit Mittwoch schon ein Hotel nutzen. Zu den Hilfsmaßnahmen der Stadt zählt auch die Wiedereröffnung der Unterkünfte Aldekerkstraße und des Vogelsanger Wegs als Notschlafstellen. Beide haben zusammen 83 Plätze und bieten nun zusätzlich auch einen Tagesaufenthalt mit Verpflegung an. Die Stadt hat außerdem angekündigt, für die Dauer der Krise Lager im Freien zu akzeptieren. So sollen die Unterkünfte weiter entlastet werden.
Der obdachlose Markus erzählt, er habe die städtischen Notunterkünfte immer gemieden, da er gern seine Ruhe habe. In den vergangenen Wochen sei aus dieser Gewohnheit eine Notwendigkeit geworden. „Dort schläft man häufig mit vier oder mehr Menschen auf engem Raum. Wenn da einer etwas hat, dann steckt man sich ziemlich sicher an“, erzählt Markus. Zwar haben die Notschlafstellen weiterhin geöffnet, ihr Angebot sogar erweitert, doch andere Anlaufstellen für Obdachlose fallen wegen der Corona-Krise weg. Die Tafeln geben keine Lebensmittel mehr aus, und auch einige der Einrichtungen der karitativen Träger, die Markus früher für eine Dusche oder eine Rasur aufgesucht hat, haben geschlossen. „Und weil die Geschäfte zu sind, kann ich mir weder ein neues Paar Socken kaufen noch meine Klamotten in der Wäscherei reinigen lassen“, ergänzt er.
„Obdachlose werden von der Krise besonders hart getroffen, ihre Situation
ist äußerst komplex“, sagt Hubert Ostendorf, Geschäftsführer von FiftyFifty. „Wenn die Politik alle bittet, sich nicht in der Öffentlichkeit aufzuhalten, dann gibt es für diese Menschen keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Sie geraten automatisch mit anderen Menschen in Kontakt“, so Ostendorf. Dazu komme, dass viele Obdachlose wegen Drogenkonsum oder Vorerkrankungen gesundheitlich geschwächt seien.
Wegen der aktuellen Situation musste auch die Obdachlosenhilfe von FiftyFifty ihr Angebot einschränken: Aktuell finden Sozialberatungen nur in zeitlich dringenden Fällen statt, in den Beratungsstellen müssen die Obdachlosen einzeln eintreten, es gibt Schutzwände aus Plastik. „Wir haben überlegt, ob wir den Verkauf unseres Straßenmagazins einstellen müssen“, sagt Ostendorf.
Gegen diesen Schritt habe man sich entschieden, um die Verkäufer nicht ihres geregelten Tagesablaufs zu berauben. „Wenn sie nicht verkaufen können, betteln sie unkontrolliert, erhöhen das Ansteckungsrisiko noch mehr“, so Hubert Ostendorf.
Stattdessen habe man die Verkäufer über das Virus aufgeklärt, mit Handschuhen ausgestattet und Tipps zur eigenen Sicherheit gegeben. Dennoch seien die Verkäufe quasi auf Null gesunken. „Wir haben einen neuen Umschlag entworfen“, erzählt Ostendorf. Auf den Zeitungen ist nun zu lesen: „Corona meiden: Ja. Obdachlose meiden: Nein.“Dies habe ein wenig geholfen, dennoch seien die Verkaufszahlen nach wie vor schlecht.
Ostendorf und seine Kollegen haben im Gespräch mit Obdachlosen erfahren, dass einige Bürger diese „wie Pestkranke meiden“. Es habe sogar E-Mails an FiftyFifty gegeben, in denen der Organisation vorgeworfen werde, dass es unverantwortlich sei, Obdachlose weiterhin die Zeitung verkaufen zu lassen. „Dabei wissen auch diese Menschen sehr genau, wie sie das Risiko einer Ansteckung gering halten können“, sagt Ostendorf.
Das bestätigt auch Markus, der mit anderen Obdachlosen am Grabbeplatz in der Frühlingssonne sitzt – sie alle halten Abstand voneinander. „Natürlich können wir nicht mal eben die Hände waschen und desinfizieren“, sagt er. „Aber wir achten darauf, nicht in Gruppen unterwegs zu sein und vermeiden Hautkontakt.“Auch er hat gemerkt, dass manche Menschen einen Bogen um ihn und andere Obdachlose machen. Aber er weiß auch Positives zu berichten: „Viele Leute sind hilfsbereiter geworden, seit wir alle gemeinsam in der Krise stecken“, erzählt Markus: „Und es gibt ein paar Männer und Frauen, die helfen mir regelmäßig. Dank derer komme ich auch in dieser schweren Zeit über die Runden.“