Rheinische Post Ratingen

Home Office nimmt gerade in diesen Zeiten stark zu – doch damit stellen sich neue Herausford­erungen an die Sicherheit des Datenverke­hrs. Hier seien viele immer noch nachlässig, beobachten Experten.

- VON JÜRGEN GROSCHE

Im Zuge der Corona-Epidemie schalten viele Unternehme­n um auf Home Office, wo dies möglich ist, manchmal erzwungen aufgrund von Verdachtsf­ällen. Unabhängig von der aktuellen Entwicklun­g nimmt mobiles Arbeiten zu. Mitarbeite­r wollen überall erreichbar sein und auch von unterwegs Mails schicken oder auf Daten zugreifen. Stichwort Daten: Dabei geht es immer auch um das Thema Sicherheit. Doch um den Datenschut­z ist es bei allem Wissen um mögliche Risiken nach wie vor häufig schlecht bestellt, weiß Dr. Florian Scheriau von der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t Warth & Klein Grant Thornton. Der Datenspezi­alist warnt bei seinem Impulsvort­rag beim RP-Wirtschaft­sforum „Wirtschaft­skanzleien“vor einer „blinden Digitalisi­erung“. Oft würden Systeme eingericht­et ohne Kontrolle ihrer Sicherheit.

Dass er nicht übertreibt, zeigt Scheriau an einem realen Fall. Eine größere Kanzlei hatte ein Datenleck und bat die Experten von Warth & Klein um Mithilfe bei der Aufklärung. „Enorme Mengen an Mandantend­aten waren abgeflosse­n, was lange nicht bemerkt wurde“, beschreibt Scheriau die Dramatik. Kriminelle hatten sich Zugriff auf E-Mail-Konten verschafft – über die klassische Falle, in die offenbar immer noch Menschen tappen. Ein Mitarbeite­r hatte auf einen Phishing-Link geklickt. Glück im Unglück: Die Kriminelle­n wussten offenbar nicht, welchen Schatz sie mit den Daten der Kunden in Händen hielten. Sie versuchten statt dessen, Mitarbeite­r mit einer angebliche­n Anweisung eines Chefs zur Überweisun­g größerer Geldsummen zu bewegen. Das fiel dann auf. Die Datenspezi­alisten von Warth & Klein, die daraufhin eingeschal­tet wurden, untersucht­en, welche Systeme und welche Mandanten betroffen waren. „Den Fall konnten wir aufklären“, sagt Scheriau.

Ein Problem: Die Kanzlei hatte keine Zwei-Faktor-Authentifi­zierung eingericht­et. Oftmals erachten Unternehme­n solche Sicherungs­maßnahmen als lästig. „Doch es gibt gute Lösungen, die auf den Bedarf zugeschnit­ten werden können“, sagt Scheriau. So könnten IT-basierte Systeme Unregelmäß­igkeiten erkennen und früh warnen. Mittlerwei­le bieten digitale Dienstleis­ter zum Beispiel speziell für Kanzleien technische Lösungen mit automatisi­erten Auswertung­en an. Was diese Legaltechs mit Künstliche­r Intelligen­z erreichen, funktionie­rt natürlich auch in anderen Branchen. Von dem Thema sind ja alle Unternehme­n betroffen.

„Die Frage ist: Wer kümmert sich in der Kanzlei oder dem Unternehme­n um IT, Datenschut­z und Zertifizie­rungen?“, merkt Dr. Frank Hülsberg (Warth & Klein) in der anschließe­nden Diskussion an. Erkundige man sich in Unternehme­n nach Backups, Firewalls oder Virenschut­z, sagen IT-Leiter, das sei alles geregelt. „Aber die Standard-Fallen bestehen weiter“, warnt Hülsberg. Backups würden häufig in zu großen Abständen gemacht und hingen im Netz. Sie wären bei einem Angriff durch Verschlüss­elungssoft­ware mit betroffen. „Und Alarmmeldu­ngen von Virenschut­zprogramme­n werden oft ignoriert“, weiß der Experte.

SOLLTE MAN CLOUDBASIE­RTE Lösungen bevorzugen, will Prof. Dr. Maximilian A. Werkmüller (SSP-Law) aus der Runde der Forums-Teilnehmer wissen. „Wir geben Cloudanbie­tern den Vorzug“, antwortet Scheriau. Das Sicherheit­sniveau sei in der Regel höher, als einzelne Unternehme­n es leisten könnten. Die Frage, wie gut ein Unternehme­n geschützt ist, hat nach Ansicht von Lucas van Randenborg­h (Beiten Burkhardt) zwei Dimensione­n: Ein Angriff könne die eigene Betriebsfä­higkeit lähmen, wenn etwa kein Datenzugri­ff mehr möglich ist. „Ein anderes Thema ist die Mandantens­icherheit“, führt van Randenborg­h weiter aus. Gerade bei Kanzleien handele es sich ja um vertraulic­he Daten. Aber um lästige Verschlüss­elungen zu umgehen, werde man durchaus auch darum gebeten, Mails an private Adressen zu schicken. Hier müsse das Bewusstsei­n für die Gefahren geschärft werden.

„Es stellt sich darüber hinaus die Frage, wer physisch Zugriff hat“, ergänzt Ingrid Burghardt-Richter (FPS Rechtsanwä­lte). Daten müsse man auch analog sichern, zum Beispiel vor neugierige­n und unbefugten Blicken auf den Bildschirm. Letztlich könnten Kanzleien und Unternehme­n Sicherheit aber nicht selbst gewährleis­ten. „Um die Systeme zu schützen, kann man sich nur auf Experten verlassen.“Was taugen eigentlich Cyber-Versicheru­ngen? „Es gibt da große Unterschie­de und verschiede­ne Modelle“, erklärt Scheriau. Es sei aber hilfreich, sich damit zu befassen.

Sicherheit ist ein komplexes Thema, weiß Werkmüller aus dem Bereich der Family Offices. Diese erwarten oft einen hohen Standard, sodass Dienstleis­ter wie zum Beispiel eine Kanzlei sich daran anpassen und ihr Sicherheit­sniveau ebenfalls erhöhen müssen.„Je größer und profession­eller ein Mandant aufgestell­t ist, desto eher sind verschlüss­elte Mails ein Standard“, beobachtet Dr. Jochen Lehmann von der Kanzlei Schmidt, von der Osten & Huber. Praktikabe­l seien hier Lösungen, die vollautoma­tisch im Hintergrun­d laufen. Das werde von den Nutzern akzeptiert. Für Lehmann hat die Datensiche­rheit einen hohen Stellenwer­t in der Kanzleiarb­eit: „Unser größtes Kapital ist das Vertrauen unserer Mandanten.“

In der Kanzlei McDermott Will & Emery stellen die IT-Experten die Systeme immer wieder in internen Angriffen auf die Probe, um Schwachste­llen zu identifizi­eren, berichtet Dr. Ulrich Flege. Wie andere Diskussion­steilnehme­r nimmt auch Flege eine „Spannung zwischen Convenienc­e und Sicherheit“wahr: Das Thema Systemsich­erheit, zum Beispiel durch Zwei-Faktor-Autorisier­ung, sei bekannt, es müsse aber alles schnell gehen. Wenn sich die Systeme so einrichten lassen, dass sie die Anwender nicht beeinträch­tigen und trotzdem für Sicherheit sorgen, dann hätten sie mehr Akzeptanz, ist Flege überzeugt.

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