Die Tragik der Pandemie
Geld gegen Leben lässt sich noch relativ leicht abwägen. Aber Leben gegen Leben?
Die Corona-Pandemie ist ein tragisches Ereignis. Nicht (nur) in dem Sinne, in dem wir „tragisch“oft verwenden: erschütternd, fürchterlich, unfassbar. Sondern so, wie der Begriff ursprünglich gemeint war: dass jemand schuldlos schuldig wird, dass ihn das Schicksal (Gott, der Zufall, wie Sie wollen) in eine Lage bringt, in der er nur auf diese oder jene Weise falsch handeln kann. So verstanden die alten Griechen Tragik.
Nicht anders als tragisch kann man deshalb den Konflikt nennen, in dem etwa italienische Intensivmediziner derzeit stehen: Wer bekommt das freie Beatmungsgerät – der 40-Jährige oder der 80-Jährige? Noch drastischer: Zieht man dem 80-Jährigen mit schlechten Überlebenschancen den Schlauch zugunsten des 40-Jährigen? Solche Entscheidungen sind das schiere Grauen, und mögen sie auch medizinisch richtig, ja zwingend sein: Ethisch sind sie höchst problematisch, teilweise auch strafrechtlich relevant. Sauber kommt da keiner raus. Niemand, der bei Verstand ist, wird diese Ärzte deshalb vor Gericht bringen wollen. Es geht stattdessen um zwei Dinge: Unserer Humanität schulden wir, dass derartige Entscheidungen einzig aus medizinischer Sicht getroffen werden (und nicht etwa, weil der eine Patient arm oder unbekannt oder Ausländer, der andere reich oder prominent oder Deutscher ist). Unserem Anstand schulden wir Demut angesichts dessen, was in den Krankenhäusern derzeit geleistet wird. Geld gegen Leben abzuwägen, also wirtschaftliche Vorteile gegen Infektionsschutz, mag noch vergleichsweise einfach sein: im Zweifel für das Leben; so geschieht es derzeit. Leben gegen Leben aber wie in Italien – und niemand weiß, ob nicht bald auch in Deutschland –, sollte niemand je abwägen müssen. Wer es nun doch muss, der kommt nicht unversehrt davon. Auch wenn er körperlich gesund bleibt.