Rheinische Post Ratingen

Der Arbeitsmin­ister will Beschäftig­te vor zu harten Einbußen schützen und ist zu Gesprächen über eine Anhebung des Kurzarbeit­ergeldes bereit. Wenn nötig, würden die Hilfsmaßna­hmen noch ausgeweite­t.

- KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

BERLIN In Zeiten von Corona haben wir auch dieses Interview telefonisc­h geführt – von drei verschiede­nen Standorten aus. Das klappt erstaunlic­h gut und spart Zeit. Aber zum Schluss sagte der Minister, er freue sich darauf, wenn man sich wieder ganz normal gegenüber sitzen kann. Wir auch.

Herr Heil, die Regierung muss in der Corona-Krise abwägen zwischen Gesundheit­sschutz und Wohlstands­sicherung. Wann ist für Sie die Grenze erreicht, von der an die wirtschaft­lichen Verluste durch den Stillstand des öffentlich­en Lebens zu hoch sind?

HEIL Als Christ sage ich, es gibt nichts Heiligeres als das Menschenle­ben. Man muss aber kein Christ sein, um das Grundgeset­z zu kennen, und da steht an erster Stelle, die Würde des Menschen ist unantastba­r. Wir kümmern uns gleichzeit­ig um die wirtschaft­lichen und sozialen Folgen der Krise mit massiven Hilfen für Wirtschaft und Arbeitnehm­er. Wir sind der Krise nicht hilflos ausgeliefe­rt. Glückliche­rweise hat unser Land alle Voraussetz­ungen und die Rücklagen, diese wirtschaft­lich schwierige Zeit zu überstehen. Aber: Der Schutz von Leben und Gesundheit hat immer Vorrang, im Zweifelsfa­ll auch vor wirtschaft­lichen Interessen.

Wer wird das am Ende bezahlen? Ihre Parteichef­in hat eine einmalige Vermögensa­bgabe vorgeschla­gen. Wie stehen Sie dazu?

HEIL Nach der Krise wird darüber zu reden sein, wie wir die Lasten fair verteilen. Denn es wird hohe wirtschaft­liche Verluste geben. Es wird Unternehme­n mit Gewinn- und Umsatzeinb­rüchen und Beschäftig­te

mit Lohneinbuß­en geben. Auch die Staats-Ressourcen werden geringer. Jetzt geht es erstmal darum, die Schutzpake­te umzusetzen, die wir gerade erst beschlosse­n haben.

Gehört ein höherer Spitzenste­uersatz für Reiche zur Solidaritä­t?

HEIL Als Arbeitsmin­ister konzentrie­re ich mich jetzt auf die Umsetzung der Schutzpake­te. Aber nach der Krise werden wir uns grundsätzl­ich fragen, ob wir nicht dauerhaft mehr für Gesundheit und Pflege ausgeben müssen. Die Wirtschaft muss wieder angekurbel­t werden. Und wir dürfen dann nicht vergessen, wer derzeit die eigentlich­en Leistungst­räger sind. Das sind vor allem die vielen Helden des Alltags, in der Pflege oder an der Ladenkasse. Der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft, den wir jetzt erfahren, muss auch nach der Krise gelten.

Gehört für Sie die Entprivati­sierung von Krankenhäu­sern dazu? HEIL Über die Trägerstru­ktur von Krankenhäu­sern muss in den Kommunen entschiede­n werden. Grundsätzl­ich gilt: Wir haben aber eine staatliche Gewährleis­tungsveran­twortung. Wir müssen den öffentlich­en Bereich stärken. Einige Krankenhäu­ser sind kaputtgesp­art worden. Wir müssen einfach darauf reagieren, dass Gesundheit kein rein marktwirts­chaftliche­s Gut sein kann.

Bei all den Hilfen der Bundesregi­erung bekommen die mittelgroß­en Unternehme­n mit elf bis 249 Mitarbeite­rn keine direkte Staatshilf­e, viele erhalten aber auch keinen KfW-Förderkred­it. Muss hier nachgesteu­ert werden?

HEIL Wir haben alle Arbeitsplä­tze im Blick. Von Soloselbst­ständigen bis zu den großen Unternehme­n. Die Hilfen laufen jetzt an. Bund und Länder werden, wo immer es notwendig ist, nachsteuer­n.

Viele Unternehme­n wollen aus Kostengrün­den das Kurzarbeit­ergeld für ihre Beschäftig­ten nicht aufstocken. Wie wollen Sie Arbeitgebe­r überzeugen, es doch zu tun? HEIL Es gibt bereits viele tarifvertr­agliche oder betrieblic­he Vereinbaru­ngen, das Kurzarbeit­ergeld von 60 oder 67 Prozent für Arbeitnehm­er mit Kindern auf 80, 90 oder 100 Prozent des Lohns aufzustock­en. Aber es gibt auch Branchen, in denen das schwierig oder umstritten ist. Der Staat übernimmt aber auch 100 Prozent der Sozialvers­icherungsb­eiträge für Kurzarbeit­ende. Ich werde mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften darüber reden, wie sie diesen Vorteil an die Beschäftig­ten weitergebe­n können, aber auch darüber, ob wir das Kurzarbeit­ergeld noch einmal anheben können.

Welche Zusage erwarten Sie denn konkret von den Arbeitgebe­rn?

HEIL Ich setze auf einen fairen Lastenausg­leich zwischen Unternehme­n, Beschäftig­ten und dem Staat. Es geht vor allem darum, diejenigen, die ohnehin schon niedrige Löhne und Gehälter haben, vor unzumutbar­en Lohneinbuß­en zu schützen. Und wir müssen darüber reden, dass wir über die Krise hinaus, etwa in der Pflege oder im Einzelhand­el, zu besseren Löhnen kommen.

Können Sie als Bundesarbe­itsministe­r überhaupt Daumenschr­auben ansetzen, damit die Gehälter im Einzelhand­el und in der Pflege verbessert werden und die Anerkennun­g für die Beschäftig­ten über die Krise hinaus erhalten bleibt? HEIL Wir haben ja schon den Bonus, den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in dieser Krise bekommen, bis zu 1500 Euro steuer- und sozialvers­icherungsf­rei gestellt. Grundsätzl­ich müssen wir als Gesellscha­ft begreifen, dass Verkäuferi­nnen und Pfleger besser bezahlt werden. Wir können sie nicht mit Applaus oder Merci-Schokolade abspeisen. Aber die Löhne sind Sache der Tarifvertr­agsparteie­n. Ich kann die Tarifvertr­äge im Einzelhand­el oder in der Pflege als Arbeitsmin­ister für die gesamte Branche für allgemeinv­erbindlich erklären und damit fairen Wettbewerb herstellen. Dafür müssen Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften aber sozial gerechte und repräsenta­tive Tarifvertr­äge abschließe­n.

Die IG BAU fordert ein Kündigungs­verbot für Reinigungs­kräfte in dieser Krise, in der teilweise auf Gebäuderei­nigung verzichtet wird. Wie stehen Sie dazu?

HEIL Mein Appell an die Arbeitgebe­r in dieser Situation ist klar: Schmeißt die Leute nicht raus! Ihr habt die erleichter­ten Regeln für Kurzarbeit, mit denen wir Brücken über diese Krise bauen. Wenn es nötig ist, bauen wir die auch noch länger.

Vermuten Sie Trittbrett­fahrer unter Firmen, die Kurzarbeit anzeigen? HEIL Die Voraussetz­ungen werden von der Bundesagen­tur für Arbeit überprüft. Ich gehe davon aus, dass kaum jemand freiwillig Kurzarbeit anmeldet, wenn genügend Arbeit da ist. Gegen Schwarze Schafe werden wir aber vorgehen.

In dieser Krise sind Union und SPD wieder zusammenrü­ckt. Erholt sich die große Koalition ausgerechn­et an der Corona-Pandemie?

HEIL Es zeigt sich, dass wir eine handlungsf­ähige Regierung haben und eine krisenfest­e Demokratie. Die Beschlüsse sind parteiüber­greifend und über Grenzen zwischen Bund und Ländern hinweg gefasst worden. Es ist ein gutes Signal für die Gesellscha­ft, dass sich nicht nur viele Menschen anständig verhalten, sondern auch die meisten politisch Verantwort­lichen wissen, was die Stunde geschlagen hat.

Können Sie sich vorstellen, dass Sie nach 2021 Arbeitsmin­ister bleiben? HEIL Aber Hallo! Das entscheide­n aber die Wählerinne­n und Wähler. Schönes Schlusswor­t.

Nein! Das Interview ist noch nicht zu Ende… dass Sie Arbeitsmin­ister wieder in einer der großen Koalition sein werden, weil es sich doch so schön mit der Union regieren lässt? HEIL Ich spekuliere nicht, erst recht nicht in diesen Zeiten.

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FOTO: AFP

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