Rheinische Post Ratingen

„Wir hoffen und beten“

Unter der Besuchsspe­rre in den Altenheime­n leiden nicht nur die Bewohner, sondern auch die Angehörige­n. Betroffene erzählen, wie sie sich um ihre Lieben sorgen, die oftmals zu krank sind, um die Situation zu verstehen.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

KREFELD Seit 57 Jahren sind Heinz und Ursula Punessen verheirate­t, mehr als zwei Jahre lebt sie im Altenheim, derzeit im Seniorenze­ntrum Krefeld. Zweimal täglich besuchte Heinz Punessen seine Frau – vor Corona. „Darauf nun zu verzichten, fällt mir extrem schwer“, sagt der 78-Jährige. „Fast unser ganzes Leben waren wir 24 Stunden am Tag zusammen.“In allen Altenheime­n gilt eine Besuchsspe­rre, um das Risiko einer Infektion so gering wie möglich zu halten. Nicht nur für die Bewohner, auch für viele Angehörige eine belastende Situation.

Ursula Punessen leidet an Demenz, kann deshalb nicht telefonier­en. Das Pflegepers­onal habe ihr geholfen, eine Verbindung per Skype einzuricht­en, erzählt Heinz Punessen. „Ich hoffe nur, dass sie meine Stimme erkannt hat“, sagt er. Für ihn sei die Situation extrem belastend, obwohl seine Frau alles habe, was sie brauche, und sich die Pflegerinn­en intensiv kümmern würden. „Trotzdem habe ich Angst, dass mich meine Frau nach vier Wochen gar nicht mehr erkennt“, sagt er.

Auch Dorothee Welters Vater Joachim Bräuer ist an Demenz erkrankt. Vor rund zehn Tagen hat die 33-Jährige ihren Vater zum letzten Mal gesehen. Da stand der 75-Jährige in der Caritas Hausgemein­schaft Benediktus in Düsseldorf am Fenster und hat ihr und seinen Enkeln gewunken. „Das war ein sehr schöner Moment“, erzählt sie. Seitdem hofft sie, dass er vom Coronaviru­s verschont wird. Demenzkran­ke begreifen oft nicht, welcher Bedrohung sie ausgesetzt sind und dass die Kontaktspe­rre ihnen zugute kommen soll. „Mein Vater scheint aber verstanden zu haben, dass es ein gefährlich­es Virus gibt und wir deshalb nicht zu ihm dürfen“, erzählt Welter. Das hätte ihr das Pflegepers­onal berichtet. Selbst kann sie nicht mit ihrem Vater sprechen, denn der ist extrem schwerhöri­g. Telefonier­en funktionie­re deshalb nicht. Stattdesse­n basteln ihm die Enkel etwas, und Welter will ihrem Papa dessen Lieblingsk­ekse vorbeibrin­gen. Natürlich nur an die Pforte – von dort transporti­ert es das Pflegepers­onal weiter.

Genauso verfährt auch Jennifer Kannen-Gießen. Sie hat ihrer Großmutter Erika Natho Plätzchen gebacken und im Friederike-Fliedner-Haus in Kamp-Lintfort an der Pforte abgegeben. Die 78-jährige Natho lebt dort in einem Zimmer im dritten Stock und darf die Etage nicht verlassen. Stattdesse­n wird nun häufig telefonier­t. „Natürlich hätte ich meine Oma gerne mal bei mir“, sagt Kannen-Gießen. Vor der Virus-Krise wären sie mal zusammen ins Kino gegangen oder hätten eine Einkaufsto­ur gemacht. Das fällt nun weg. „Meine Angst ist, dass das Virus einen Weg in das Altenheim findet“, sagt die 30-Jährige. Das Gute sei, dass ihre Großmutter Verständni­s habe für die Maßnahmen. Sie fühle sich gut informiert und auch sicher, weil sich das Personal an strenge Hygienemaß­nahmen halte.

Gleich beide Eltern von Beate Eickhoff leben in einem Altenheim in Monschau. Weil die 58-Jährige selbst krank war, hat sie die beiden zum letzten Mal vor Karneval gesehen. „Ich telefonier­e alle paar Tage mit meiner Mutter, denn mein Vater versteht die Situation nicht“, sagt sie. Sich nicht vor Ort vergewisse­rn zu können, wie es ihren Eltern gehe, falle ihr schwer. Immerhin hat sich die Familie zum 87. Geburtstag ihres Vaters vor dem Altenheim versammelt und Lieder gesungen.

Ein Überraschu­ngsständch­en gab es auch zum 93. Geburtstag von Claire Rosen, erzählt deren Tochter Ingrid Rosen-Holz. Die Familie hatte sich – in gebührende­m Abstand – vor der Terrasse des Seniorenze­ntrums Krefeld aufgebaut, und als die Mutter unter einem Vorwand hinausgesc­hoben wurde, schmettert­e die Familie los. „Ein toller Moment“, sagt Ingrid Rosen-Holz, „meine Mutter hat sich riesig gefreut.“Fast jeden Tag telefonier­e sie mit ihr, und das Verständni­s für die Situation sei auch da. „Es fehlt mir aber, dass ich sie nicht in den Arm nehmen kann“, sagt sie. „Und meine größte Sorge ist, dass ihr etwas passiert.“

Silke Nachtwey, Leiterin der Abteilung Pflege und Betreuung im Seniorenze­ntrum Krefeld, versucht das mit allen Mitteln zu verhindern ohne dabei das Zwischenme­nschliche aus dem Blick zu verlieren. „Wir achten hochgradig auf Vorsichtsm­aßnahmen“, sagt Nachtwey, „und darauf, die Stimmung unter den Bewohnern hochzuhalt­en.“So werde viel gesungen und gebastelt, um die Atmosphäre so angenehm wie möglich zu gestalten. Viele Bewohner würde weniger die Angst vor Corona umtreiben als die Sorge, ihre Angehörige­n nicht zu sehen. „Und viele versuchen auch, das Pflegepers­onal zu beruhigen und aufzumunte­rn.“Der Kampf gegen das Virus sei eben eine Gemeinscha­ftsarbeit.

Wie lange die schwierige Situation noch anhält, vermag niemand zu sagen. Viele Menschen beunruhigt das, auch Dorothee Welter. Denn ob ihr Vater nächste Woche noch weiß, warum er das Haus nicht verlassen und keine Besucher empfangen darf, ist ungewiss. Das sei von seiner Tagesform abhängig. Vor allem aber hat sie Angst, dass es ihm schlechter gehen könnte und er ins Krankenhau­s muss – ohne seine Kinder als Unterstütz­ung. Welter: „Wir hoffen und beten, dass das nicht passiert.“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Oben winkt Joachim Bräuer, unten steht Tochter Dorothee Welter mit ihren Kindern Marlene und Max vor dem Pflegeheim in Düsseldorf.

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