Rheinische Post Ratingen

„Ich will in Deutschlan­d etwas erreichen“

Die junge Jesidin Hindrin Badel Ibrahim hat in Ratingen Fuß gefasst und baut sich nun eine Zukunft auf.

- VON DAVID BIEBER

RATINGEN Es ist eine der Geschichte­n, die Mut macht angesichts der weltweiten Krisen wie der Coronaviru­s-Krise oder der anhaltende­n Flüchtling­skrise. Es ist die bisherige Lebensgesc­hichte der 19 Jahre alte Hindrin Badel Ibrahim. Die junge Irakerin gehört zu der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden.

Aber der Reihe nach: Keine Gruppe hat so unter dem IS-Terror gelitten wie die Jesiden. Die Kämpfer der Terrormili­z fielen Anfang August 2014 im Norden des Iraks, da wo eigentlich Hindrin zu Hause ist, ein, um die jesidische Minderheit auszulösch­en. Der IS sah in ihnen „Teufelsanb­eter“und „Ungläubige“. Die Jesiden halten ihre Religion indes für die älteste der Welt. Sie glauben an einen Gott, aber sie verehren auch Engel. Anders als Muslime, Christen oder Juden besitzen die Jesiden keine Heilige Schrift, sondern geben ihr religiöses Wissen mündlich weiter.

Der Einfall des IS und ihre darauffolg­ende Flucht nach Westeuropa ist der jungen Frau, die seit mehr als zwei Jahren nun in Ratingen lebt, noch sehr präsent. „Im Nachbardor­f sagten sie uns, dass der IS nur unser Geld nimmt“, sagt Hindrin.

Tatsächlic­h folgten Massenmord an den Männern, Verschlepp­ung und Versklavun­g der Frauen und Kinder, die Flucht Zehntausen­der Menschen und der Beginn des internatio­nalen Kampfes gegen den selbsterna­nnten „Islamische­n Staat“im Irak und Syrien.

Man merkt, dass ihre Vergangenh­eit die Neu-Ratingerin verständli­cherweise sehr belastet, sie wirkt schüchtern, ihre Stimme ist leise.

Dennoch: Hindrin weiß, was sie will. „Ich will in Deutschlan­d etwas erreichen.“Zahnmedizi­nerin zu werden schwebt ihr vor. Dass der Weg dahin steinig und schwer ist, weiß die junge Jesidin, die mit ihrer Familie über die „Balkan-Route“

schließlic­h vor knapp vier Jahren in der Bundesrepu­blik ankam. Der Schlüssel für den Erfolg in Deutschlan­d ist die Sprache, weiß sie. „Ich muss erst weiter Deutsch lernen, um mein Ziel zu erreichen.“Erstaunlic­h ist aber, wie gut Hindrin schon unsere Sprache spricht. „Das kommt vom Lesen“, sagt sie, die aktuell dabei ist, wie sie sagt, ihr eigenes Buch, „über ihr bisheriges Leben“, zu schreiben. „Mit dem Herzen und Gedanken sind wir Jesiden immer in der Heimat.“Täglich hat sie noch Kontakt in ihre nordirakis­che Heimat Sindschar, ihre Verwandten leben noch dort. Sie wollen die

Stellung halten, ihre Heimat nicht aufgeben, so wie es viele Tausende Jesidien tun mussten. „Derzeit kämpfen die Menschen dort auch gegen das Coronaviru­s“, sagt Hindrin. „Schulen und Geschäfte sind, bevor es in Deutschlan­d der Fall war, bereits geschlosse­n worden.“

Zurück zu der ehrgeizige­n Hindrin aus Ratingen-West, die in ihrer Freizeit gerne Sport macht und Klavier spielt. Um ihr berufliche­s Ziel zu realisiere­n, braucht sie Abitur. Das wird sie auf dem Adam-Josef-Cüppers-Berufskoll­eg voraussich­tlich ablegen. Dass sie auf einem guten Weg ist, beweist der Blick in ihr vergangene­s Zeugnis. Ihre Noten sind durchweg gut bis sehr gut – auch in Deutsch. „Ich lerne jeden Tag Grammatik, ich muss noch besser werden.“

Höflichkei­t und Respekt sind ganz zentrale Werte im Jesidentum, das auch einige Elemente aus dem Islam und Christentu­m im Laufe der Jahrhunder­te in den Glauben aufgenomme­n haben soll.

Die höfliche Hindrin weiß jedenfalls, was sich gehört und möchte sich bedanken. „Ich habe auch in der Stadt Ratingen viel Unterstütz­ung erfahren, dafür möchte ich sehr danken.“

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BLAZY RP-FOTO: ACHIM Hindrin Badel Ibrahim erzählt der RP von der Flucht und ihrem neuen Leben in Deutschlan­d.

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