Rheinische Post Ratingen

Der saarländis­che Ministerpr­äsident warnt vor überstürzt­en CoronaLock­erungen und lobt CSU-Chef Söder.

- FOTO: IMAGO KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Hans, die Kanzlerin sagt, die Umsetzung der Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen sei in den Bundesländ­ern teilweise zu forsch angegangen worden. Stimmt das? HANS Ich unterstütz­e das, was die Kanzlerin sagt. Ich hätte mir gewünscht, dass wir alle zusammen noch eine Woche länger durchgehal­ten hätten, bis überall die Osterferie­n vorbei sind. Ich finde es konsequent, wie es Markus Söder in Bayern gemacht hat: Bis zum 26. April alles geschlosse­n lassen und dann mit Mundschutz­pflicht die ersten Öffnungen angehen. Das wäre mir bundesweit lieber gewesen. Aber gerade als kleineres Bundesland muss man immer darauf reagieren, wie sich die Nachbarlän­der verhalten und sich möglichst abstimmen.

Welches Beispiel ärgert Sie da? HANS In Rheinland-Pfalz steht an der Grenze zum Saarland Europas größtes Designer-Outlet-Center, das seit dem 20. April wieder öffnen darf, entgegen der Beschlüsse der MPK mit der Kanzlerin. Das ist ein völlig falsches Signal. Großeltern dürfen ihre Enkel nicht sehen, aber in ein Designerge­schäft zum Einkaufen gehen. Ein Fehlanreiz. Es befördert das Gefühl der Ungerechti­gkeit.

Was befürchten Sie?

HANS Ich mache mir große Sorgen, dass wir das Rad zurückdreh­en müssen, wenn die Infektions­zahlen wieder steigen. Dann müsste es einen zweiten Lockdown geben, der mit Sicherheit schärfer wird als der erste. Wir müssen alles daran setzen, das zu verhindern. Wir müssen an die Geduld und Vernunft der Menschen appelliere­n.

Oder an die Geduld von Ministerpr­äsidenten?

Merkel hatte in einer CDU-Schalte „Öffnungsdi­skussionso­rgien“beklagt. Steht ihr das zu?

HANS Es muss möglich sein, intern auch mal Tacheles zu reden. Ich habe nicht erlebt, dass die Bevölkerun­g in einem großen Ausmaß nach Lockerunge­n gerufen hat. Es ist ein schmaler Grat, die berechtigt­en Interessen der Wirtschaft und die Gesundheit der Menschen gegeneinan­der abzuwägen. Politiker dürfen sich angesichts der Forderunge­n aus Wirtschaft, Einzelhand­el und Gastronomi­e nicht wegducken. Angela Merkel versteckt sich nicht. Die Politik muss der Gesellscha­ft den Rahmen geben, sich zu schützen. Es ist klug, in kleinen Schritten vorzugehen. Wir stehen erst am Anfang der

Krise und deswegen bin ich für restriktiv­e Maßnahmen und damit an der Seite der Kanzlerin.

Welche Lehre müssen die Ministerpr­äsidenten aus dem jetzt bestehende­n Flickentep­pich am 30. April ziehen, wenn sie wieder mit der Kanzlerin über die nächsten Schritte beraten?

HANS Der Föderalism­us ist ein hohes Gut. Die Länder sind unterschie­dlich stark von der Corona-Infektion betroffen, deshalb haben sie auch unterschie­dliche Bedürfniss­e. Da kann nichts aus Berlin zentral angeordnet werden. Es muss aber eine Vergleichb­arkeit der Maßnahmen geben. Ich wünsche mir, dass wir das nächste Mal die grundsätzl­ich vereinbart­en Schritte gemeinsam einhalten und unterschie­dliche Herangehen­sweisen vorher transparen­t machen. Jeder Verein hat eine WhatsApp-Gruppe, über die die Mitglieder kommunizie­ren. Das sollten auch die Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten können. Es ist unschön, wie es bei der Maskenpfli­cht gelaufen ist. Wir haben gemeinsam festgestel­lt, dass der Appell zum Tragen einer Maske nicht ausreicht. Da hätten wir gleichzeit­ig die Einführung der Pflicht verkünden können statt tröpfchenw­eise nachzuzieh­en.

Können die Menschen auf weitere Lockerunge­n ab 4. Mai hoffen? HANS Ich mache mir eher Sorgen, dass wir Ende April feststelle­n, dass wir wieder weiter in die Krise hinengerut­scht sind.

Wie kann es besser laufen?

HANS Ich bin für eine einheitlic­he Herangehen­sweise bei den Kriterien und für klare Definition­en, etwa wie viele Personen sich pro Quadratmet­er Verkaufsfl­äche in einem Geschäft aufhalten dürfen. Im Saarland gilt: ein Kunde pro 20 Quadratmet­er. Bei dieser Regelung bräuchten wir auch keine zusätzlich­e 800-Quadratmet­er-Regel, die sehr unterschie­dlich ausgelegt wird und zu einer hohen Anzahl von Kunden in den Geschäften führen kann. Das ist nicht gut. Ich werde das in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz Ende April vorschlage­n.

Bis Mitte nächster Woche wollen die Kultusmini­ster ein Konzept für Unterricht in Corona-Zeiten vorlegen. Sollte das einheitlic­h umgesetzt werden?

HANS So einheitlic­h wie möglich. Es ist gut, dass die Bundesregi­erung bedürftige­n Schülern bei der Anschaffun­g von digitalen Geräten finanziell hilft. Darauf müssen wir aufbauen. Und es darf keinen Flickentep­pich geben, welche Schüler Masken tragen müssen und welche nicht.

Bleiben die Regierunge­n auf unbestimmt­e Zeit im Krisenmodu­s? HANS Diese Legislatur­periode wird bis zum Schluss von Krisenmana­gement geprägt sein – jetzt in der Anfangspha­se der Corona-Pandemie und dann bei der Bewältigun­g der Folgen für die Wirtschaft. Zugleich dürfen wir auf gar keinen Fall einen Rückschrit­t bei der Bekämpfung der Klimakrise machen. Ähnlich wie Corona, ist auch die derzeitige Trockenhei­t ein Weckruf, ein Weckruf der Natur, nicht weiter hemmungslo­s CO2 in die Luft zu blasen. Wir müssen einen ökologisch­en Ansatz finden, um unsere Soziale Marktwirts­chaft umzugestal­ten.

Sie könnten nur jenen Firmen Staatshilf­e gewähren, die Klimaneutr­alität anstreben.

HANS Ich plädiere sehr dafür, bei unseren Hilfsmaßna­hmen für die Firmen in der Corona-Krise ökologisch­e Komponente­n einzuführe­n. Eine unkonditio­nierte Abwrackprä­mie für Autos, die nicht an die Beschaffun­g eines E- oder Hybridauto­s gekoppelt ist, wie nach der letzten Wirtschaft­s- und Finanzkris­e, ist heute nicht mehr denkbar.

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