Fünf Jazzer träumen von der Kurischen Nehrung
Der Schlagzeuger Peter Weiss hat mit seinem Quintett die bezaubernde CD „Palanga“eingespielt. Sie entstand nach einer Konzertreise ins Baltikum.
Wenn wir in diesen Tagen auch nicht reisen dürfen, so schwebt unsere Phantasie doch unablässig zu Stränden, Gipfeln, Wäldern, Loipen, Liften, Wellen. Fernweh ist eine Währung, die wir zwar nicht eingelöst bekommen, die wir aber sorgfältig verwahren und beizeiten wieder hervorholen.
Nichts-wie-weg-Gefühle kommen auch bei der neuen CD des Düsseldorfer Schlagzeugers Peter Weiss auf. Sie heißt „Palanga“, und wem das nichts sagt, dem dämmert vielleicht etwas, wenn er sich die nahe Kurische Nehrung im Baltikum vorstellt. Mondäne litauische Strandbäder im Baltikum, nicht weit von Lettland und Russland entfernt, unverwechselbar und einmalig.
Dort, im Ort Nida, hat Weiss mit seinem Quintett vor einiger Zeit gespielt, und dass ein Stück „Palanga“heißt, ist symptomatisch für die ganze Platte. Die famose Saxofonistin Kristina Brodersen hat es komponiert, ein verträumtes, zwischen Elegie und Erinnerung sich einpendelndes Balladenmärchen in g-Moll. Es verrät, dass Brodersen eine dem
Lyrischen sehr nahestehende Melodienjüngerin ist, die ihre geistige Nähe zum kürzlich verstorbenen Lee Konitz zu erkennen gibt.
Ryan Carniaux ist der wunderbare Trompeter des Quintetts, dessen einleitendes „Drip Drop“etwas herrlich Lakonisches hat, eine Gelassenheit für Abende wie derzeit, an denen man nur mühsam zur Leichtigkeit des Seins zurückfindet. Carniaux ist ein Stratosphären-Trompeter, der auch in normaler Flughöhe bella figura macht.
Dreh- und Angelpunkt des Quintetts ist Sebastian Sternal, der nicht minder exzellente Pianist der Truppe. Sein Spiel ist von perspektivischer Eleganz, zuweilen altmodisch dezent, aber dann wieder so raffiniert, als wolle er Bill Evans zum Trauzeugen
einer Modern-Jazz-Hochzeit machen. Wie seinen Kollegen gelingen Sternal kilometerlange Koloraturen, aber auch kostbar enge Akkorde, bei denen man den legendären George Shearing aus dem Sarg klatschen hört. Hendrike Entzian walkt am Kontrabass mehr als nur aufmerksam mit: Sie gibt dem Ensemble großartige Impulse, und ihr „Windmills“entzückt wie ein ausgeräumtes, frisch renoviertes Zimmer mit fabelhaftem Zuschnitt, in das alle gern ihre Schränke und Sessel schieben.
Und die rhythmische Möblierung übernimmt halt Peter Weiss, der den unfassbaren Angang, als einziger Düsseldorfer neben vier jungen Kollegen aus Köln spielen zu müssen, mit stoischer Größe meistert. Weiss ist der Anker, der „Palanga“nicht allzu weit auf die Ostsee hinaustreiben lässt. Das Cover der See zeigt übrigens lauter Segelboote, die vor Palanga über die See treiben – wie es uns Gefühle beim Hören der wundervollen CD auch tun.
Info Die CD kann man direkt beim Label Klaeng Records in Köln kaufen. Internet: www.klaengrecords.de