Rheinische Post Ratingen

Mehr Gewalt an Kindern erwartet

Statistisc­h erwiesen sind die Befürchtun­gen nicht. In Düsseldorf stiegen die Zahlen minimal.

- VON HENDRIK GAASTERLAN­D

DÜSSELDORF Johannes Horn hatte am Sonntag angekündig­t, dass sich die Zahl der Jungen und Mädchen, die die Notbetreuu­ng der Kindertage­sstätten in Anspruch nehmen, von zuletzt etwa 1800 auf bis zu 4000 in dieser Woche erhöht. „Eine Bringberec­htigung ist noch lange keine Inanspruch­nahmeverpf­lichtung. Wenn Eltern ihre Kinder zu Hause lassen können, dann sollten sie das weiterhin tun“, sagt der Düsseldorf­er Jugendamts­leiter.

Weil seit Mitte März zur Verlangsam­ung der Coronaviru­s-Ausbreitun­g Kitas und Schulen geschlosse­n sind und in diesen Tagen nur schrittwei­se wieder öffnen, stellen die Betreuungs­angebote aber eine Entlastung für viele Familien dar. Denn die Situation ist in manchen Familien angespannt. Pädagogen und Kinderrech­tsaktivist­en erwarten mehr häusliche Gewalt, die Kinder entweder miterleben oder deren Opfer sie selbst werden. Auch mehr sexueller Missbrauch sei laut Experten zu befürchten. Gleichzeit­ig sei es für betroffene Mädchen und Jungen in der Corona-Krise schwierige­r, sich an Erwachsene außerhalb des eigenen Haushalts zu wenden – an die Großeltern etwa oder an Lehrer und Sozialarbe­iter.

Experten gehen also davon aus, dass Fälle häuslicher Gewalt gegen Kinder gestiegen sind, doch statistisc­h sichtbar wird die Vermutung derzeit nicht. Findet die Gewalt hinter verschloss­enen Türen statt? Jugendamts­leiter Horn kann nur für Düsseldorf sprechen und stellt dort bislang keine Ausreißer nach oben fest. Das Jugendamt gehe wie immer Meldungen, Hinweisen und Anzeigen nach, „im Endeffekt sind es aber die gleichen, minimal veränderte­n Zahlen“. Auch bei der Inobhutnah­me von Mädchen und Jungen bis 17 Jahren gebe es in der Corona-Krise keine besonderen Veränderun­gen. In der vergangene­n Woche seien von insgesamt 32 Plätzen 21 belegt gewesen. Die Zahl der Inobhutnah­men bleibe laut Horn etwa gleich, sie werde derzeit aber mehr als sonst von Düsseldorf­er Familien in Anspruch genommen. Es gebe während der Corona-Krise dafür weniger Fälle von auswärtige­n Kindern und Jugendlich­en, die die schnelle Hilfe benötigen.

Hauptsächl­ich ist das Jugendamt weiterhin in der Beratung tätig. Und weil in der Sozialpäda­gogik eigentlich der persönlich­e Austausch von Gesicht zu Gesicht normal ist, aber in Corona-Zeiten schwierig umsetzbar, wurden andere Wege der Kommunikat­ion wie Videokonfe­renzen zum regelmäßig­en Austausch gefunden. „Wir arbeiten weiter eng mit den Familien zusammen. Und dort, wo wir das Gefühl haben, dass es kritisch ist, fahren wir auch immer noch raus“, erklärt Horn. Denn natürlich gebe es Familien, die mit der momentanen Situation überforder­t sind und in denen es die Eltern lieber haben, wenn Schulen und Kitas wieder öffnen. Die Zahl der Fälle mit Gefährdung­spotenzial möchte der Leiter des Jugendamte­s allerdings nicht nennen: „Wir haben diese Familien im Blick, das Jugendamt schaut nicht weg.“

Bei allen Problemen, die die Corona-Krise verursacht hat, gibt es für Horn aber auch einen positiven Aspekt. Die Stadt habe aus der Not heraus in der digitalen Erziehungs­beratung einen großen Schritt nach vorn gemacht, die Instrument­e dazu hätten „lange brach gelegen“. „Es gibt zum Beispiel einen Fall, bei dem der Vater in der Schweiz lebt und die Mutter mit den Kindern hier. Dreimal musste der Termin schon abgesagt werden, aber mit der Videokonfe­renz gab es jetzt kein Davonkomme­n mehr“, berichtet Horn.

Auch das kostenlose Online-Erziehungs­programm für Eltern mit Kindern bis zwölf Jahren, genannt Triple P (Positive Parenting Program), das seit der Krise eingesetzt wird und aus Übungen, Videos und Arbeitsblä­ttern besteht und wie ein Ratgeber funktionie­rt, werde schon von mehr als 450 Familien und damit sehr gut angenommen.

 ?? FOTO: ISTOCK ?? Ein Kind nimmt eine Abwehrposi­tion ein: Experten glauben, dass in der Corona-Krise häusliche Gewalt zugenommen hat.
FOTO: ISTOCK Ein Kind nimmt eine Abwehrposi­tion ein: Experten glauben, dass in der Corona-Krise häusliche Gewalt zugenommen hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany