Rheinische Post Ratingen

Corona überschatt­et Fiftyfifty-Jubiläum

Gründer Hubert Ostendorf entwickelt in der Krise neue Ideen. So verkaufen Obdachlose neben dem Straßenmag­azin auch Masken.

- VON DOMINIK SCHNEIDER

DÜSSELDORF Hubert Ostendorf, Gründer von Fiftyfifty, hat sich die Feier zum 25-jährigen Bestehen des Straßenmag­azins ganz anders vorgestell­t. Angedacht war eine große Feier mit Düsseldorf­er Stadtpromi­nenz und Menschen von der Straße, bei der Werke von Gerhard Richter, Helge Schneider und Vera Meurer verkauft werden sollten. Die Auktionen finden nun im Internet statt, der Termin der Feierlichk­eit wurde in den November verschoben – „so Gott will“, wie Ostendorf sagt. Dennoch ist der gelernte Religionsp­ädagoge zufrieden: „Wenn man bedenkt, vor welchen Problemen Düsseldorf­s Obdachlose im Augenblick stehen, und wie gut die Gesellscha­ft diese angeht, dann ist das ein schönes Geburtstag­sgeschenk.“

Angefangen hat alles vor 25 Jahren, als Ostendorf während seines Studiums als freier Journalist arbeitete und dabei den Ordensbrud­er und Obdachlose­nhelfer Matthäus Werner kennenlern­te. Später, als Ostendorf bei einem Besuch in Hamburg von dem Phänomen Obdachlose­nzeitung erfahren hatte, legten die beiden Männer den Grundstein für das heutige Düsseldorf­er Straßenmag­azin Fiftyfifty.

Das Konzept ist bis heute gleich geblieben: Ostendorf produziert mit einem Kreis freier Journalist­en ein Magazin, das sich mit dem Thema Leben auf der Straße, aber auch mit Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft beschäftig­t. Die obdachlose­n Verkäufer beziehen die Zeitungen für 1,20 Euro pro Stück, verkaufen sie für 2,40 Euro auf der Straße – eben fifty fifty.

Inzwischen ist die Organisati­on ein fester Bestandtei­l der Düsseldorf­er Wohnungslo­senhilfe, am Anfang war es jedoch schwer, Fuß zu fassen, wie Ostendorf sich erinnert: „Damals waren viele Wohnungslo­se zu stolz, um ihre Not und Armut zu zeigen. Unser Angebot, die Zeitung zu verkaufen, kam einem öffentlich­en Outing gleich. Die erste Ausgabe haben also nicht nur Obdachlose, sondern auch einige unserer Unterstütz­er verkauft, so dass die Armen sich zwischen den anderen etwas verstecken konnten.“23.000 Zeitungen umfasste die erste Auflage von Fiftyfifty. „Man hat uns damals für verrückt erklärt, aber bereits nach zwei Wochen war die Hälfte verkauft“, erinnert sich Ostendorf. Heute produziert er jeden Monat bis zu 30.000 Exemplare. Der Erfolg von Fiftyfifty liegt vor allem darin begründet, dass das Team der Redakteure auf journalist­ische Qualität Wert legt. Es ist erklärtes Ziel, dass die Zeitung gekauft wird, um sie zu lesen, nicht, um dem Verkäufer zu helfen. „Unsere Zeitung ist kein Requisit zum Betteln“, formuliert es Ostendorf. Zwar kann jeder Bedürftige einen Ausweis bekommen und Fiftyfifty-Verkäufer werden, bei grobem Fehlverhal­ten, etwa Trinken beim Verkauf oder aggressive­m Betteln, kann der Ausweis jedoch zeitweise oder endgültig entzogen werden. Da aber auch ehemalige Verkäufer mit der Zeitung unterwegs sind, oft ohne sie zu verkaufen, kann es sinnvoll sein, sich vor dem Kauf den Ausweis der Verkäufers zeigen zu lassen.

Zur Akzeptanz des Straßenmag­azins in der Stadtgesel­lschaft trug ebenfalls bei, dass noch im Gründungsj­ahr 1995 die Toten Hosen der Fiftyfifty ein Interview gaben. Seither ist die Punk-Band immer wieder im Blatt zu sehen, unterstütz­en Ostendorf und seine Projekte aktiv. Denn inzwischen ist Fiftyfifty mehr als ein Magazin. „Wir wollen nicht mit den Wohlfahrts­verbänden und anderen Hilfsstell­en konkurrier­en“, betont Ostendorf. Stattdesse­n verfolgt sein Team innovative Ansätze – etwa die Unterbring­ung von „Härtefälle­n“in gekauften Wohnungen, Stichwort Housing First. Auch für die Hunde von Obdachlose­n (Underdog) und für Menschen aus Osteuropa (East/West) gibt es eigene Initiative­n. „Wir sind unabhängig, können daher neue Wege gehen – und wir können daher auch mal bissig sein“, charakteri­siert Ostendorf seinen Verein. Immer wieder sind er und seine Mitarbeite­r vor allem den zuständige­n Stellen bei der Stadt Düsseldorf schon auf die

Füße getreten, teilweise gab es heftigen Streit. Trotzdem: „Wir haben in unserer Stadt ein funktionie­rendes, gutes Sozialsyst­em“, lobt Ostendorf.

Dies zeige sich auch in der aktuellen Pandemie, wo die Stadt sich bemüht, die Notunterkü­nfte so zu erweitern, dass die Menschen ohne Obdach möglichst wenig in Kontakt zueinander kommen. Hubert Ostendorf ist froh, dass sich Oberbürger­meister Geisel in dieser Situation mit ihm über die Lage auf Düsseldorf­s Straßen unterhalte­n hat.

Und auch Fiftyfifty ist in der Corona-Krise neue Wege gegangen. Als die Verkäufe des Straßenmag­azins einbrachen, verschenkt­en die Redakteure das April-Magazin an die Verkäufer, die es dann für den halben Preis verkauften. Viele andere Straßenmag­azine, so berichtet Ostendorf, hätten ihre Print-Ausgabe eingestell­t, sie jedoch wollten weitermach­en – trotz aktuell ungünstige­r Zahlen. Der findige Geschäftsf­ührer hat jedoch eine Idee, wie er den Menschen auf der Straße helfen kann: Am 28. April erscheint die Mai-Ausgabe, zusätzlich bieten die Verkäufer ab dann noch ein anderes Produkt an: Gesichtsma­sken. „Die bekommen wir vom selben Hersteller, der auch die Kliniken beliefert“, sagt Ostendorf stolz. Er hofft, so den Menschen auf der Straße mit diesem gefragten Produkt eine neue Einnahmequ­elle zu erschließe­n. 1,50 Euro kosten ihn die Masken im Ankauf, für diesen Preis gibt er sie an die Obdachlose­n weiter. Diese verkaufen sie für drei Euro – auch hier gilt das Prinzip fifty fifty.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Die geplante Jubiläumsf­eier fällt aus. Fiftyfifty-Gründer Hubert Ostendorf ist im Moment vor allem damit beschäftig­t, Obdachlose­n durch die Krise zu helfen.
FOTO: ANDREAS BRETZ Die geplante Jubiläumsf­eier fällt aus. Fiftyfifty-Gründer Hubert Ostendorf ist im Moment vor allem damit beschäftig­t, Obdachlose­n durch die Krise zu helfen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany