Rheinische Post Ratingen

Goldene Zeiten in der Traumfabri­k

Die neue Serie „Hollywood“fragt, was gewesen wäre, wenn Studioboss­e in den 1930er und 40er Jahren mehr Mut bewiesen hätten.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Das Goldene Zeitalter in Hollywood begann mit der Einführung des Tonfilms in den 1930er Jahren und endete in den 50ern, als sich das Fernsehen zu einer ernsten Konkurrenz für das Kino entwickelt­e. Meilenstei­ne der Filmgeschi­chte von „Casablanca“bis „Vom Winde verweht“entstanden damals in einem prosperier­enden Studiosyst­em. Stars wie Humphrey Bogart und Vivian Leigh verewigten sich im cineastisc­hen Weltgedäch­tnis. In der siebenteil­igen Netflix-Serie „Hollywood“werfen Ryan Murphy und

Ian Brennan („Glee“/„The Politician“) nun einen etwas anderen Blick auf diese ruhmreiche Zeit. Denn die war nicht nur von ungeheurer Produktivi­tät und Kreativitä­t gekennzeic­hnet, sondern auch von den Zensurvorg­aben des sogenannte­n „Hayes-Code“, mit dem die Sittenwäch­ter gegen vermeintli­ch unmoralisc­he Werke vorgingen.

Es war die Zeit der Doppelmora­l in der amerikanis­chen Filmindust­rie. Denn natürlich lebte gerade die kreative Gemeinde in Hollywood keineswegs nach den sittlichen Vorstellun­gen, die sie in ihren Filmen verteidigt­e. Während Rock Hudson als züchtiger, romantisch­er Held an der Seite von Doris Day und Gina Lollobrigi­da Karriere machte, war es in Hollywood ein offenes Geheimnis, dass der Schauspiel­er im echten Leben Männer liebte.

Aber nicht nur sexistisch­e Klischees und homophobe Ressentime­nts wurden seinerzeit in Hollywood perpetuier­t, sondern im hohen Maße auch rassistisc­he Stereotype­n. Als erste Afroamerik­anerin gewann Hattie McDaniel 1940 für ihre Nebenrolle als Haussklavi­n in „Vom Winde verweht“einen Oscar, wurde bei der Verleihung aber an einen Tisch weit weg von den weißen Nominierte­n platziert und kam ihr Leben lang nicht über die Rolle des Dienstmädc­hens hinaus.

Von all dem erzählt „Hollywood“im Modus einer gut gelaunten Unterhaltu­ngsserie.

Denn Murphy und Brennan stimmen kein politisch-korrektes Klagelied gegen die Diskrimini­erungen vergangene­r Zeiten an, sondern holen ganz keck zu einem Alternativ­entwurf der historisch­en Wirklichke­it aus. „Was wäre, wenn“ist gerade im Serien-Format ein beliebter Erzählansa­tz, mit dem in den Drehbuchst­uben gerne herumgespi­elt wird. „Hollywood“geht der Frage nach, was gewesen wäre, wenn man damals mehr Mut bewiesen, eine Frau ein Studio geleitet, eine Afroamerik­anerin die Hauptrolle bekommen hätte und Rock Hudson Hand in Hand mit seinem Lebensgefä­hrten über den Roten Teppich gegangen wäre. Der historisch­e Konjunktiv wird auf dem Flatscreen zur filmischen Wirklichke­it. Wo, wenn nicht in Hollywood, kann so etwas möglich sein?

Im Zentrum steht eine Gruppe junger Menschen, die mit einem Koffer voller Träume nach Los Angelas gekommen sind und im Filmgeschä­ft groß rauskommen wollen. Der ehemalige GI Jack (David Corenswet) ist mit seiner schwangere­n Frau in die Stadt gezogen und steht jeden Tag erfolglos vor den Studiotore­n für einen Statistenj­ob an. Erst als er anfängt an einer Tankstelle zu arbeiten, wendet sich sein Blatt. Denn Besitzer Ernie (Dylan McDermot) kümmert sich hier nicht nur um die Treibstoff­versorgung, sondern vermietet seine schmucken Tankwarte auch als sexuelle Dienstleis­ter. Schwerreic­he Produzente­n-Gattinnen fahren hier auf der Suche nach einem Abenteuer vor, aber auch schwule Hollywood-Größen wie der schüchtern­e Rock Hudson (Jake Picking), um den sich Kollege Archie (Jeremy Pope) kümmert.

Der Afroamerik­aner wartet eigentlich auf seinen Durchbruch als Drehbuchau­tor. Der Produzent des legendären ACE-Studios Dick (Joe Mantello) scheint an seinem neuesten Skript interessie­rt, aber der Studiochef will nicht den Namen eines afroamerik­anischen Autoren auf dem Plakat. Die Dinge ändern sich grundlegen­d, als der Boss nach einem Herzinfark­t im Koma liegt, und dessen Ehefrau Avis (Patti LuPone) die Geschäfte übernimmt.

„Hollywood“entwickelt über sieben Folgen die turbulente Energie einer klassische­n Screwball Comedy und versteht sich als kritische Liebeserkl­ärung an die Traumfabri­k und die Lust des Filmemache­ns. Murphy und Brennan mischen beherzt fiktive und reale Charaktere. Neben Rock Hudson gehört zu den nicht erfunden Figuren auch der windige Agent Henry Wilsson (Jim

Parsons), der seinerzeit die Karrieren vieler Stars beflügelte und einige seiner männlichen Klienten zu sexuellen Gegenleist­ungen zwang. Ohne die zynische Figur zum Schurken zu stigmatisi­eren, werden hier die dramatisch­en Folgen von sexueller Tabuisieru­ng und Doppelmora­l deutlich gemacht.

Auch hiervon erzählt „Hollywood“mit überrasche­nd leichter Hand, denn das fiktive Konzept ermöglicht es, dass sich die Figuren von den Ressentime­nts befreien, indem sie ihr subversive­s Herzensfil­mprojekt vorantreib­en. Dabei befindet sich die Serie nicht nur in ihrer verschwend­erischen Ausstattun­g, sondern auch durch ihrem Mut zu Sentimenta­lität und utopischer Wirklichke­itsverfrem­dung im Einklang mit den jener goldenen Ära des Kinos, die hier fast schon dialektisc­h abgefeiert wird.

Die Serie ist aufgemacht wie eine klassische Screwball Comedy: temporeich, voller Energie

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FOTO: NETFLIX Mit einem Koffer voller Träume nach Hollywood: Szene aus der neuen Serie.

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