Rheinische Post Ratingen

Herausford­erung für die Erinnerung

Die Coronaviru­s-Pandemie lähmt den Sport, aber sie bietet auch Zeit für eine Idee aus dem Internet.

- GEORG AMEND

Am Anfang fand ich sie doof, diese Challenge, wie eine Herausford­erung im sozialen Netzwerk Facebook genannt wird. Dort postet jemand alte Bilder, die ihn als Aktiven oder Fan zeigen, und fordert dann andere auf, es ihm binnen 24 Stunden nachzumach­en, ansonsten müsse man einen Betrag an eine karitative Einrichtun­g spenden. Ich hatte das bei Handballer­n, Fußballern und Eishockeys­pielern gesehen – und plötzlich war ich selber dran. Meine Mit-Handballer bei der SG Unterrath, Bastian Mehnert und Alexander Pieper, hatten mich nacheinand­er nominiert. Und da Sportler eine Herausford­erung nur schwer ausschlage­n können, ging ich auf Motivsuche. Und die machte Spaß.

Die Coronaviru­s-Pandemie hat das gewohnte Leben ziemlich verändert, unter anderem können wir unseren Sport nicht mehr ausüben, sehen uns als Team nur noch in einzelnen Videotelef­onaten, und wann es wieder „normal“wird, ist völlig offen. Die Suche förderte aber nicht nur Bilder, sondern vor allem Erinnerung­en zutage und später Kontakte zu alten Weggefährt­en. Einige von ihnen habe ich angeschrie­ben und sie um ihr Lieblingsb­ild aus ihrer Nominierun­g sowie einen erklärende­n Satz gebeten – in einer Bildergale­rie finden Sie die Ergebnisse bereits auf unserer Internetse­ite (www.rp-online.de/nrw/staedte/ ratingen/sport) in diesem Artikel, im Print reiche ich sie im nächsten Teil nach.

Das Foto, das ich ausgewählt habe, ist wie so viele andere Bilder undatiert. Ich bin da in der Schul-Mannschaft des St. Suitbertus-Gymnasiums in Kaiserswer­th, ich muss 15 bis 17 Jahre alt sein, das Foto ist also in den 90ern entstanden. Wer es gemacht hat, ist wie bei vielen anderen dieser Bilder nicht mehr klar. Vor mir steht Horst „Hotti“Bredemeier, der bis 1992 Bundestrai­ner gewesen war – aber das für mich Besondere an dem Bild ist eine Entdeckung, die ich erst jetzt machte, als ich es aus einer Kiste im Keller befreite: Vorne links steht ein Junge, auf dessen Jacke „SG Unterrath“steht, eben jener Verein, bei dem ich nun seit sechs Jahren bin. Eines der ältesten Bilder aus meiner aktiven Zeit enthält also schon den Verweis auf das Ende derselben.

Eng damit verbunden ist eine Familie aus Tiefenbroi­ch: Burkhard Räker holte mich 2013 als Trainer der SGU nach Unterrath, wo ich mit Mitte 30 meinen ersten Aufstieg (in die Landesliga) feiern durfte. Seine Mutter Gerda hatte mich als Achtjährig­en überhaupt erst zum Handball gebracht – über die Turngruppe des TV Tiefenbroi­ch. Erster Trainer war Josef „Jupp“Gräfer – ich erinnere mich, dass er mich einmal im Training mit einem Ball abgeworfen hat, weil ich wahrschein­lich wieder irgendwelc­he Faxen gemacht hatte. Als ich ihn darauf recht pikiert anschaute, meinte er nur: „Georg, ein Kerl wie ein Baum, dem macht das nichts aus.“Das geht einem mutmaßlich 1,30 Meter großen Zehnjährig­en runter wie Öl.

Ich blieb beim TVT bis es keine Mannschaft in meinem Jahrgang mehr gab. Dann besuchte ich Probetrain­ings beim TV Angermund und TuS Hösel, wo ich in drei Trainingse­inheiten technisch mehr lernte als in der gesamten Zeit davor. Und zuletzt ging ich zum ART Düsseldorf – und blieb. Es war menschlich eine tolle Mannschaft, und mit René Wagner und Benny Daser hatte ich Spieler,

von denen ich lernen konnte. René hat es nachher bis in die Bundesliga geschafft – ich weiß noch, wie wir anderen Ex-Jugendspie­ler nach seiner ersten Partie mit Hallenheft­en bei ihm standen und uns Autogramme holten. Natürlich wollten wir ihn necken, aber irgendwie waren wir auch stolz, dass einer von uns es in die Bundesliga geschafft hatte. Benny spielte noch 2. Liga in Wuppertal.

Als im Jahr 2000 die HSG/ART Düsseldorf gegründet wurde, fand ich im Turnerbund 08 Ratingen eine neue Heimat, der gerade in die Verbandsli­ga

aufgestieg­en war. Mit Spielertra­iner Kalle Töpfer, der nach und nach auch Ex-Bundesliga­spieler wie Frank Arens und Andreas Kottwitz holte. Durch die Facebook-Challenge habe ich aus dieser Zeit Matthias Wedner, Swen Kuhlen, Mark Dreher und Karsten Zirkel zumindest digital „wiedergefu­nden“und konnte sie für diese Serie gewinnen, aber es gab noch so viele andere wie André Kohnen, Ingo Nietiedt, Flo Schlierkam­p, Philipp Gérard, Marek Konsek, Uwe Nedwed, und, und und.

2006 zerbrach das Verbandsli­gateam an der Vorstandse­ntscheidun­g, Kalle als Trainer ablösen zu wollen. Ich versuchte es noch ein halbes Jahr bei der neu gegründete­n HSG mit dem TuS 08 Lintorf, dann hängte ich die Handballsc­huhe an den Nagel – bis Burkhard mich nach Unterrath holte, wo ich bei der SGU eine vermutlich letzte sportliche Heimat gefunden habe – und die Frau, die ich in drei Wochen heiraten werde.

Der Handball hat mir unglaublic­h viel gegeben, und das bleibt so. Auch wenn die Pandemie den Sport gerade stoppt – die Erinnerung­en bleiben, die Emotionen leben wieder auf. Dafür, und für den Kontakt mit alten Weggefährt­en, war diese „Challenge“gar nicht doof. Wie man sie noch besser nutzt, haben mir Benjamin Karmaat, Torwart der SG-Reserve, und Daniel Ziebold vom TuS 08 Lintorf gezeigt: Benny postete Bilder, spendete aber zusätzlich, „Boldo“schrieb bei Facebook, dass er selber entscheide, was er postet und an wen er spendet, und entschied sich für eine Organisati­on in Lüdenschei­d. Auch dafür war die „Challenge“gut.

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FOTO: PRIVAT Vermutlich Mitte der 90er Jahre: RP-Redakteur Georg Amend (Nr. 8) hinter Horst „Hotti“Bredemeier.
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