Rheinische Post Ratingen

„So viele haben noch nie mitgefeier­t“

Eigentlich wollten die Schützen in Wesel-Bislich am Wochenende ihr Schützenfe­st feiern. Wegen des Coronaviru­s mussten sie absagen – doch der Vorstand fand eine kreative Lösung: Virtuell feierten Tausende Menschen mit.

- VON SEBASTIAN PETERS

WESEL Das Dorf Bislich bei Wesel am Niederrhei­n hat 2800 Einwohner, es schmiegt sich gegenüber von Xanten an den Rhein und galt fürwahr bisher nicht als digitaler Hotspot im Land. Dank der dort örtlichen Schützenge­meinschaft ist aber Bislich nun der Ort, der auf besondere Art dem Coronaviru­s trotzt: Die Bislicher, deren Schützenfe­st eines der ersten im Brauchtums­kalender des Landes NRW ist, haben am Wochenende ihr Fest digital gefeiert.

Um den Mitglieder­n eine gewisse Festroutin­e zu geben, hat der Vorstand zu bestimmten Uhrzeiten Videos von Schützenfe­stschauplä­tzen ins Internet gestellt. Der Zuspruch, den der Vorstand um Andreas Michelbrin­k für diese Idee geerntet hat, ist immens: Die örtliche Schützenge­meinschaft kommt auf 500 Mitglieder, die Videos seien aber teilweise von bis zu 6000 Menschen geschaut worden, berichtet Schützensp­recher Tobias Engels (39). „Mit so vielen Menschen haben wir im Dorf noch nie gefeiert. Wir sind überwältig­t. Bei mir steht das Telefon nicht mehr still.“Er glaubt, dass die Bislicher Art zu feiern in der Corona-Pandemie auch für andere Schützenve­reine ein Vorbild sein könnte.

„Hinter uns liegen schwierige Wochen“, sagt Tobias Engels. Schon im März, als die Kontaktver­bote noch nicht galten, habe man im Vorstand zusammenge­sessen und überlegt, wie man mit dem Coronaviru­s umgehen könne. „Schon früh war uns klar, dass es ein normales Schützenfe­st wohl nicht geben wird.“Engels und sein Präsident Andreas Michelbrin­k suchten Kontakt zum Zeltverlei­her, zu den Schaustell­ern und den Bands. „Wir haben uns mit denen geeinigt und uns wurde zugesagt, dass wir nicht für Kosten aufkommen müssen, wenn das Schützenfe­st abgesagt wird.“Tausende Euro standen auf dem Spiel. So gab es für die Bislicher schnell Gewissheit, dass es kein normales Schützenfe­st geben wird und dass eine Alternativ­planung beginnen kann.

Die Idee, Videos von den einzelnen Schauplätz­en des Festes zu drehen, sei im Vorstand entstanden, berichtet Engels. Er kontaktier­te die Kompaniefü­hrer und Spielleute, die danach einzelne Videobeitr­äge einsendete­n. „Zehn Filme waren schnell beisammen“, sagt Engels. Der Vorstand moderierte diese Videos jeweils an. Zu festen Uhrzeiten

werden sie seit Freitag und noch bis Montag bei Facebook hochgelade­n und zirkuliere­n bei Whatsapp.

Den Anfang machte die „Regierungs­erklärung“von Präsident Andreas Michelbrin­k, der sich in einem schützenfe­stlich dekorierte­n Büro im Stile der Kanzlerin an die „Mitschütze­n und Mitschützi­nnen“wendet. „Kreative Köpfe gibt es nicht nur in Berlin, sondern nur in unserem Dorf“, kündigt Michelbrin­k an. Ein „virtuelles Schützenfe­st“solle man feiern, appelliert er an die Dorfgemein­schaft. Nach der Ansprache öffnet er ein Bier, nimmt einen kräftigen Schluck und übergibt an den König Markus Gerwers. Der erklärt seinem Schützenvo­lk die Corona-Challenge: Jeder Schütze solle zur Desinfekti­on zunächst einen Underberg, danach eine Flasche Bier als Longdrink in einem Zug und dann einen Absacker zum Nachspülen trinken. Seit Samstag nominieren sich die Schützen in kleinen Videos. So entsteht trotz Kontaktver­boten eine Gemeinscha­ft.

Diese ist auch im echten Leben spürbar: Wer durch das Dorf fährt, nimmt trotz Corona eine besondere Stimmung wahr. Vor den Häusern stehen Flaggen, und zwar nicht nicht auf halbmast. Ein wenig melancholi­sch sei die Stimmung aber schon, sagt Tobias Engels. So sei in einem Video zu sehen, wie das Schützenfe­st in einem Baggerloch zu Grabe getragen wird, zu der Uhrzeit, zu der sonst der Kranz niedergele­gt wird. „Natürlich sind wir alle wehmütig, aber die Gesundheit der Menschen geht vor. Wir halten uns an alle Regeln, aber auf das Feiern wollen wir dennoch nicht verzichten“, sagt Engels. Das Corona-Schützenfe­st von Bislich könne er anderen Vereinen nur empfehlen. „Aber eins steht fest: 2021 möchte ich am liebsten wieder ein normales Fest feiern.“

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SCREENSHOT­S: FACEBOOK Präsident Andreas Michelbrin­k im schützenfe­stlich geschmückt­en Büro am Freitag: Im Stile der Kanzlerin hält er eine Ansprache zur Lage der Schützenna­tion.
 ??  ?? Schützensp­recher Tobias Engels grüßt am Samstag von der Kirche St. Johannes in Bislich – wo eigentlich der Schützengo­ttesdienst stattgefun­den hätte.
Schützensp­recher Tobias Engels grüßt am Samstag von der Kirche St. Johannes in Bislich – wo eigentlich der Schützengo­ttesdienst stattgefun­den hätte.
 ??  ?? Andreas Michelbrin­k steht am Sonntagmor­gen in der Dorfmitte am Lindenbaum. Hier stünde sonst zu diesem Zeitpunkt das Ausrufen des neuen Königs an.
Andreas Michelbrin­k steht am Sonntagmor­gen in der Dorfmitte am Lindenbaum. Hier stünde sonst zu diesem Zeitpunkt das Ausrufen des neuen Königs an.

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