Rheinische Post Ratingen

Ein erfolgreic­her Verkehrsmi­nister mit umstritten­en Positionen

- VON DOMINIK SCHNEIDER

HELLERHOF Bei vielen der Straßennam­en, die in Düsseldorf Gegenstand von Diskussion­en sind, ist die historisch­e Einschätzu­ng der jeweiligen Namensgebe­r mehr oder weniger eindeutig. Viele haben etwa eine bedeutende Rolle in der deutschen Kolonialge­schichte gespielt oder waren eng mit dem Regime der Nationalso­zialisten verbunden. Einer der Männer, dessen Name auf der Liste von aus heutiger Sicht nicht mehr haltbaren Benennunge­n steht, dürfte jedoch für Diskussion­en sorgen: Dem ehemaligen CDU-Politiker Hans-Christoph Seebohm wird vorgeworfe­n, dem Rechtsextr­emismus nahe gestanden und von der Herrschaft der Nazis

profitiert zu haben. Anderersei­ts galt Seebohm als Verkehrsmi­nister und Vizekanzle­r der jungen Bundesrepu­blik als einer der fähigsten Politiker seiner Zeit.

Hans-Christoph Seebohm wurde am 4. August 1903 in Oberschles­ien geboren. Der studierte Ingenieur leitete mehrere Bergbauunt­ernehmen, unter anderem eines, das als Auffangges­ellschaft „arisierter“Unternehme­n diente und sich im Besitz des Deutschen Reichs befand. Nach Kriegsende zog es ihn in die Politik, zunächst in die rechtsgeri­chtete Deutsche Partei, später in die CDU. Dort stieg Seebohm rasch auf, zunächst im niedersäch­sischen Landtag und später, ab 1949, im Bundestag. Unter Konrad Adenauer, später auch unter Ludwig Ehrhard, wurde er Verkehrsmi­nister. In diesem Amt leistete er Entscheide­ndes für den

Aufbau des modernen deutschen Verkehrssy­stems. Außerdem war er – obwohl gebürtiger Schlesier – lange Zeit Vorstand und Sprecher der Sudentende­utschen Landsmanns­chaft, wo er sich tatkräftig für die Vertrieben­en einsetzte.

Für Kritik im In- und Ausland sorgten vor allem umstritten­e Aussagen Seebohms, etwa in Bezug auf die Grenzen des deutschen Reiches. So bezeichnet­e er nach Kriegsende den Vertrag von Versailles als nichtig und das Sudentenla­nd als deutsches Territoriu­m. Auch wenn Seebohm zu den Architekte­n des Grundgeset­zes gehörte, lehnte er dessen Inhalt in Teilen ab, nannte es „von den Alliierten erzwungen“und die neue Sozialdemo­kratie „nicht zum Deutschtum führend“. Außerdem sagte er in seiner Funktion als Sprecher der Sudeten: „Wir neigen uns in Ehrfurcht vor allen deutschen Menschen, die ihr Leben für ihr Vaterland geopfert haben und vor jedem deutschen Symbol, unter dem sie sich opferten“– was als Anerkennun­g nationalso­zialistisc­her Zeichen ausgelegt wurde. Seebohms radikale Äußerungen erregten auch im Ausland großes Aufsehen und brachten die deutsche Regierung nicht selten in Bedrängnis; insbesonde­re die Alliierten forderten wiederholt den Rücktritt des Bundesverk­ehrsminist­ers. Dennoch ist er bis heute der deutsche Politiker mit der längsten ununterbro­chenen Amtszeit im Bundestag. Zu Lebzeiten und auch lange nach seinem Tod 1967 wurde Seebohms Rolle während der Nazizeit kaum diskutiert, diese Frage wird erst seit 2017 vom Institut für Zeitgeschi­chte umfassend aufgearbei­tet. Bisher ist jedoch nicht endgültig sicher, wie groß seine Rolle während der „Arisierung“jüdischer Unternehme­n war und wie sehr er in seiner Zeit als Geschäftsm­ann von der rassistisc­hen Politik profitiert­e. Diese Unklarheit sowie seine umstritten­en Positionen und Aussagen waren jedoch bereits 2010 Anlass für die Stadt Uelzen in Niedersach­sen, eine nach ihm benannte Straße umzuwidmen. Auch die Expertenko­mmission, die in Düsseldorf die Benennunge­n geprüft hat, empfiehlt, der Hans-Christoph-Seebohm-Straße in Hellerhof einen neuen Namen zu geben, da dem Politiker – neben seinen Leistungen für die junge Bundesrepu­blik – Nähe zum Rechtsextr­emismus und Profit im Dritten Reich zur Last gelegt werden kann.

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